Von Ephesos nach Troja

Erinnern Sie sich an die Träume Ihrer Kindheit und Jugend? Ein solcher Traum war es für mich, Troja zu sehen, wo Priamos und Hektor, Achilles und Agamemnon, von Homer beschrieben, 10 Jahre lang lebten und kämpften.

Am Flughafen in Izmir erwarten uns der türkische Reiseleiter Hasan Gülbol und Busfahrer Sahin zur Fahrt nach Kusadasi. Nach kurzer Nacht weckt uns der Ruf des Muezzins. Erster Programmpunkt nach dem Frühstück: Ephesos! Es ist sonnig, die ionischen, korinthischen und dorischen Säulen stehen fotogen vor blauem Himmel in herrlicher Landschaft. Drei Stunden spazieren wir auf antikem Pflaster talabwärts, angeleitet und begleitet von Hasan und Herrn Dr. Sexauer. Tempel, Odeon, Toiletten (!), Bibliothek, Theater: mit etwas Fantasie tauchen wir ein in das römische Leben.

Am Ende des Geländes erwartet uns Sahin mit dem Bus. Wir rasten in einem Gartenlokal und besuchen anschließend die berühmten Artemis-Statuen im örtlichen Museum. Wie gut, dass die Eintritte mit dem Reisepreis abgegolten sind. Die Inflation von fast 70 % lässt die Kosten schneller steigen, als man schauen kann.

Johanniskirche und Artemistempel stehen an. Viele alte Steine, die uns, durch Hasans Mund, Geschichte(n) erzählen. Auf dem Grund des einst gewaltigen Artemistempels zu stehen, verursacht heilige Schauer.

Zurück in Kusadasi spaziere ich mit meinem Vater hinunter ans Meer zum leeren „Frauenstrand“. Ein „Efes“-Bier mit Blick aufs Meer ist der würdige Abschluss eines intensiven Tages.

Nächster Tag, nächste Legende. Während der etwa drei Stunden Fahrt nach Pergamon werden wir unterhalten durch Kurzvorträge zum Thema Islam, Koran und Literatur und den Besuch einer hochmodernen Autobahn-Raststätte. Am Ziel segeln wir mit der Seilbahn auf die Akropolis. Wir hören von Ausgräber Karl Humann und seinem Leben. Am Pergamonaltar, das Original steht bekanntlich in Berlin, entbrennt eine Diskussion über den Umgang mit archäologischem Erbe. Der Himmel droht schwarz. Den Regenschauer verbringen wir trocken in einem hallenartigen Speiselokal mit „Büfe“.

Tagesziel ist Edremit am gleichnamigen Golf. Während der Fahrt bringt uns Herr Dr. Sexauer den schlitzohrigen Nasdreddin Hodscha näher, Hasan referiert über das Thema Olivenanbau. Unser Thermalhotel zu Füßen des Idagebirges wartet auf mit türkischem Charme und einem Wellnessbereich mit zwei großen, sehr warmen Themalbecken mit Badekappenpflicht. Wohlan!

Nach der reichen Kultur der letzten beiden Tage ist am vierten Tag Natur angesagt. Der Weg zu einem idyllischen Wasserfall ist ab dem Dorf Zeytinli für unseren Bus nicht machbar – Hasan organisiert zwei Dolmus, die örtlichen Nahverkehrs-Kleinbusse. Improvisieren und organisieren können sie hier. Es geht hinauf, rechts und links Olivenbäume, so weit das Auge reicht. Oben angelangt sind Wasserfall und Wasserlauf recht nett, ein wunderschönes Plätzchen für sommerliche Picknicks. Da wir noch kühlen Frühling haben, belassen wir es bei einem kleinen, wohltuenden Spaziergang.

Wieder mit unserem Bus fahren wir ins Dorf Adatepe und hören unterwegs vom berühmten Moscheebaumeister Sinan. Ein Spaziergang durch die herrliche Landschaft bringt uns zum Altar des Zeus, einem großen Felsblock mit Blick auf das Meer und die nahegelegene Insel Lesbos. Die alten Götter wussten zu leben.

Auf dem Dorfplatz halten wir anschließend Rast, der örtliche Wirt serviert uns Gözleme – mit Käse gefülltes Fladenbrot – und Tee und Kaffee. Hunde und Katzen starten Charme-Offensiven, und ein stolzer Gockel produziert sich neben uns.

Der Verdauungsspaziergang führt durch die alten griechischen Häuser hinauf über das Dorf. Wir lernen über den „Bevölkerungsaustausch“ zwischen Griechen und Türken nach dem ersten Weltkrieg und generell vom „Vater aller Türken“, Atatürk. Trennung von Staat und Kirche, lateinische Schrift, Gleichberechtigung … kaum nachvollziehbar, was dieser Mann durchsetzen konnte und wie prägend er für die Türkei bis heute ist. Auf dem Berg, in einem malerischen Hain, liest Herr Dr. Sexauer aus einer humorvollen Jugendausgabe der Ilias vom Urteil des Paris. Eine Szenerie wie gemalt.

Kurz vor Rückkehr ins Hotel bewundern wir zwei uralte Platanen im Hof eines alten Schulgebäudes, heute Museum. Die Mühsal des Tages waschen wir ab im warmen Thermalbad des Hotels, vor dem abendlichen Büffet. Der türkische Wein schmeckt auch gut.

Es folgt der große Tag: Auf nach Troja! Unsere beiden Reiseleiter ergänzen sich aufs Beste: Während Hasan von den berühmten Ausgräbern Heinrich Schliemann und Heinrich „Osman“ Korfmann erzählt, ruft uns Herr Dr. Sexauer Ilias und Odysee in Erinnerung. Dann stehen wir in den legendären Ruinen. Agamemnon, Achill, Hektor, Priamos, Kassandra, Paris, Odysseus … Gänsehaut. Bis zu den Dardanellen reicht der Blick. Schliemanns Graben, der Schatz des Priamos, Troja I bis VII; Schicht für Schicht führen unsere Reiseleiter durch die Antike. Marketingtechnisch hat Homer einiges richtig gemacht, wir stehen in der Nachfolge sehr berühmter Touristen wie Alexander oder Xerxes.

Kopf und Herz sind voll, ein Mittagessen in einem Lokal vor den Toren Trojas stärkt uns. In Sichtweite das neue Museum. Es ist aufgebaut wie die Grabungsstätte selbst, mit Stockwerken statt Schichten für die einzelnen Epochen. Ein spektakulärer Museumsbau, mit großzügiger Präsentation der Artefakte. Einzeln bummeln wir, so mancher bleibt hängen und muss sich anschließend sputen.

Der Rest des Tages ist Zugabe. Im Bus erzählt Herr Dr. Sexauer von der Schlacht von Gallipoli im ersten Weltkrieg. In Assos erklimmen wir eine Akropolis, herrlich gelegen über dem Meer. Müdigkeit und Intensität des Tages machen sich bemerkbar, auch untereinander. Unser Reiseleiter liest nochmals aus der Ilias, diesem „Gedicht mit Helden über menschliche Unzulänglichkeiten“ (Zitat), sogar melodiös auf Griechisch. Entlang der Bucht fahren wir auf schmalen Sträßchen, vorbei an Olivenplantagen und Campingplätzen, zurück nach Edremit. Traum erfüllt.

Die Rückfahrt nach Izmir wird angenehm unterbrochen durch eine Pause in Ayvalik und auf der vorgelagerten Insel Cuna. Wir flanieren, trinken Kaffee, besuchen eine Moschee und essen Kebab. Es lässt sich leben in diesem Land. Während der Fahrt auf der Autobahn hören wir Kurzvorträge zu den Themen Wirtschaft, Schulwesen, Kurden und Tee. Sogar für ein kurzes Nickerchen bleibt Zeit, ehe uns die schnell wachsenden Hochhaus-Vororte von Izmir empfangen.

Der letzte Reisetag ist der Metropole am Meer und ihrem Verkehr gewidmet. Die Busfahrt auf den Burgberg ist abenteuerlich, im Schritttempo zählt jeder Zentimeter zwischen parkenden und entgegenkommenden Fahrzeugen. Ohne die deutsche Straßenverkehrsaggressivität hat es etwas von einem fröhlichen Spiel, und unser Fahrer Sahin beweist neben fahrerischem Können eine bemerkenswerte Ausgeglichenheit. Der Blick von der Burg ist umwerfend. Vom Gründungsort Alexander des Großen blicken wir auf das alte Smirna, von dem große Teile noch ausgegraben werden müssen.

Den Teil, der schon/noch da ist, sehen wir auf der Agora. Wie stabil müssen die unterirdischen Bögen sein, so viele Jahrhunderte in dieser erdbebenreichen Gegend nahezu unbeschadet zu überdauern? Mein Vater und ich beschließen den Tag im großen Basar und in der Fußgängerzone bei einem Tee. Beziehungsweise, der eigentliche Abschluss ist ein gemeinsames Abendessen in einem Fischrestaurant an der Promenade. Was für ein erfreuliches Ende einer glücklichen Reise!

Stefan Simonis

bekam wohl von seinem Vater die Liebe zur Antike vererbt, verschlang als Kind und Jugendlicher die griechischen und römischen Sagen (in der Jugendversion) und erfüllte sich mit dem Besuch von Troja einen langgehegten Traum – passenderweise gemeinsam mit seinem Vater!

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