Euskal Herria

Reisen ins Baskenland finden oder fanden sich schon im Hirsch-Programm: „Biarritz am Atlantik“ (2022), „Das Baskenland“ (2020) oder „Bilbao und Rioja“ (2016). Der Reiseführer spricht zumindest für den spanischen Teil trotzdem von einem Geheimtipp, selbst vielen Spaniern unbekannt. Einen Besuch wert ist das Baskenland allemal – selbst ohne Hirsch. In diesem Fall allerdings nicht ganz so komfortabel.

Wer um 8.00 Uhr mit dem Zug in Karlsruhe abfährt, kommt um 16.00 Uhr in Bayonne an. Vom Bahnhof zu unserem Hotel sind es nur wenige Schritte. Wir deponieren unser Gepäck und laufen in die Stadt.

Bayonne ist eine hübsche Stadt, wie eine sehr saubere spanische Stadt, und liegt an einem großen Fluss. (…) Wir gingen auf die Brücke und machten dann einen Spaziergang durch die Stadt.

Fiesta (Ernest Hemingway)

Der Fluss, den wir auf der Brücke überqueren, heißt Adour. Hübsch ist das Städtchen mit seiner Kathedrale wirklich. Im Kreuzgang findet ein Kunsthandwerksmarkt statt. In den Gassen wird spanisch und französisch gesprochen, die örtlichen Spezialitäten sind Schokolade und Schinken. Über die Reste der alten Stadtbefestigung kehren wir zurück zum Hotel. Auf dem Platz davor spielt eine Band Hits aus den 70ern und 80ern, das Publikum handgezählte fünf Senioren. Als wir im Zimmer sind und schlafen wollen, übernimmt eine örtliche Reggaeband.

Die Kinder verkünden ihr Reisemotto: Weniger Museen. Je älter, desto aufsässiger. Dafür wollen sie ans Meer, nach Biarritz. Der ÖPNV besteht aus Elektrobussen, die in hoher Frequenz in alle Richtungen fahren. Eine nette ältere Dame erklärt uns den Automaten; es gibt einen Einheitstarif, die einfache Fahrt kostet 1,20 Euro, man erhält eine aufladbare Wertkarte. Der Bus hat an allen Ampeln, Kreuzungen und Kreisverkehren Vorfahrt gegenüber den PKW.

Der Himmel über Biarritz ist bedeckt, es nieselt. Der Faszination von rauem Atlantik, lässigen Surfern und ehrwürdigem Flair tut dies keinen Abbruch. Wir spazieren zum Felsen der Jungfrau und durch das Städtchen und essen Crêpes in einem kleinen Restaurant. Am leeren Stadtstrand ziehen wir uns um und wagen ein Bad. Die Wellen flößen Respekt ein, ziehen erst die Füße weg und schleifen uns dann über die feinen Kiesel. Gratispeeling. Zerschlagen, aber glücklich, fährt uns der Bus zurück nach Bayonne.

Am nächsten Tag doch ein Museum: Das Musée Basque von Bayonne ist liebevoll gestaltet und erzählt auf drei Etagen die Geschichte der Basken von den Anfängen des Ackerbaus über Schifffahrt, Architektur und Kunst bis zu Tänzen, Musik und Sport (Pelota!).

Dann holen wir unser Gepäck im Hotel und laufen zur schattenlosen Bushaltestelle. Der Bus nach San Sebastian kommt erst nach über einer Stunde. Die Miene des Busfahrers unterbindet jede Diskussion über die Verspätung. Über St. Jean de Luz und Hendaye fährt er uns über die spanische Grenze.

San Sebastian oder Donostia (auf baskisch) erwartet uns mit strahlend blauem Himmel. „Die Dame unter Spaniens Städten, unübertroffen an Chic und Eleganz.“, steht im Reiseführer. Unser Hostel liegt neben der Kathedrale. Wir beziehen eine Zelle mit zwei Etagenbetten und einem Waschbecken. Die Stadt ist wunderschön, mit herrschaftlichen Häusern, mondänen Boulevards und der berühmten Muschel-Bucht. Seit meinem letzten Besuch wurden die zweispurigen Straßen zu Einbahnstraßen, die Parkplätze gestrichen. Es gibt je eine eigene Fahrbahn für Autos, E-Busse und Radfahrer und genug Platz zum Flanieren. In den Gassen der Altstadt liegt eine Pintxo-Bar neben der anderen. Es soll hier die besten Tapas von Spanien geben. Aus der Altstadt kommen wir zur Bucht; an Promenade und Strand spaziert viel Volk. Wir nehmen ein kurzes Bad im Meer, laufen weiter. Es dämmert, als wir die Windkämme des baskischen Bildhauers Eduardo Chillida am Fuß des Monte Igeldo erreichen.

Am nächsten Tag streifen wir umher, vom Surferstrand Zurriola mit dem „Kursaal“ des Stararchitekten Rafael Moneo, vorbei am Luxushotel Maria Christina, auf den Monte Urgull, durch die Altstadt, wieder zur Bahia de la Concha. Gegen Mittag entsteht Unruhe, die Vuelta naht – die große Spanienrundfahrt der Radrennfahrer kommt durch San Sebastian. Zwei Beamte der Ertzaintza, der baskischen Polizei, versuchen die Menschen im Zaum zu halten, mit Trillerpfeife und wechselndem Erfolg. Dann saust das Feld an uns vorbei; die Menge strebt zu Pintxos und Mittagessen in die Restaurants.

Idealerweise stammen wir von einem Ort, haben unsere Wurzeln in einem Ort, aber unsere Arme strecken wir aus in die ganze Welt, lassen uns inspirieren von den Ideen der verschiedenen Kulturen.

Eduardo Chillida

Nachmittags möchte ich zum Museo Chillida-Leku, etwa 20 Minuten mit dem Bus. Die Töchter nicht. Also fahren wir, ich bruddelnd, mit der Zahnradbahn auf den Monte Igeldo. Das Panorama über Stadt und Bucht ist zugegebenermaßen traumhaft.

Tags darauf frühstücken wir in einem Straßencafé, holen unser Gepäck und laufen zum Busbahnhof. Im Minutentakt fahren Busse nach ganz Nordspanien. Unser Bus ist pünktlich und bringt uns ohne Zwischenstopp auf der Autobahn nach Bilbao.

Einst düsterer, krimineller Industriemoloch – und heute? Guggenheim-Museum von Frank O. Gehry, Zubizuri-Brücke von Calatrava, Metro-Stationen von Sir Norman Foster, Kulturzentrum vom Designer Philippe Starck. Mit der Metro fahren wir zum Hotel ins Zentrum. Die Stadt vibriert, auf den Trottoirs vor den Bars sitzen und stehen trinkende Menschen mit blauen Halstüchern, Zelte sind aufgebaut. Der Geräuschpegel ist hoch, immer wieder erklingen baskische Männergesänge. Es ist Aste Nagusia, die große Festwoche in Bilbao. Die Hotelrezeption weist darauf hin, dass wir mit wenig Schlaf rechnen dürfen.

An den folgenden Tagen widmen wir uns vor allem vormittags Kunst und Kultur. Das einzigartige Guggenheim-Museum mit eindrucksvoller zeitgenössischer Kunst (riesig:„La Materia del tiempo“ von Richard Serra), die neuen Flusspromenaden, das innovative Kulturzentrum Centro Azkuna, die Schwebebrücke Puenta Colgante mit 50 m hohem, schwindelerregenden Fußgängerübergang.

Sonntag mittag (…) brach die Fiesta aus. Es gibt keinen anderen Ausdruck dafür.

Fiesta (Ernest Hemingway)

In der Altstadt ist der Teufel los. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Die Menschen trinken (kein Wasser), reden, lachen, singen, tanzen, in einem fort, bis 6 Uhr morgens. Dann können wir eine Stunde schlafen, bevor der Reinigungsdienst kommt und die Straßen mit Spülmittel-Wasserwerfern sauber wäscht. Ab 11 Uhr morgens geht es wieder von vorne los. Restaurants, Cafés, Bars sind jederzeit voll. Abends um 22.30 Uhr gibt es ein gewaltiges Feuerwerk über dem Nervion.

Banner und Hinweisschilder sind in baskischer Sprache. Komuna heißt Toilette, garagadoa heißt Bier, ardo heißt Wein (beltza, gorria oder zuria), Mojito heißt Mojito. Plakate und Poster sind sehr patriotisch, antifaschistisch, antirassistisch, nationalistisch, separatistisch. Tja. Die Musik finde ich gut, Ska und Punk, aber in die Nähe des ETA-Terrors möchte ich nicht gerückt werden. Wenn man nur baskisch könnte.

Nach drei lauten Tagen und Nächten sind wir platt. Schlafen die niemals? Am letzten Tag der Fiesta bringt uns ein vollbesetzter Bus aus der Stadt, nach Noja an die kantabrische Küste. Auf einem Campingplatz verbringen wir einige ruhige Tage an der schönen Felsenküste, schwimmen, lesen, schlafen.

Die Rückreise absolvieren wir in zwei Tagen. In Laredo nutzen wir einen Buswechsel, um mit Jakobswegpilgern die Kirche anzuschauen. Wir sehen nochmal Bilbao und San Sebastian, laufen durch Irun auf der Suche nach der Metro, die uns über den Fluss und damit über die Grenze fährt. In Hendaye verbringen wir eine Nacht und steigen am nächsten Morgen in den Zug nach Paris, wo wir den Umstieg zwischen den beiden Bahnhöfen in rekordverdächtigen 30 Minuten schaffen. 2 ½ Stunden später wieder: Karlsruhe!

Baskische Lesetipps aus dem Reisegepäck:

  • „Fiesta“ von Ernest Hemingway
  • „Patria“ von Fernando Aramburu
  • „Ein Pyrenäenbuch“ von Kurt Tucholsky
  • „Shanti Andia, der Ruhelose“ von Pio Baroja
  • „Wie man Baske wird“ von Ibon Zubiaur

Alle Hirsch-Reisen ins Baskenland sind hier abrufbar