Erlebnisse im Carnevale di Venecia

Vor ca. 40 Jahren hatten Künstler die Idee den venezianischen Karneval wieder neu zu beleben. Im Winter kamen nur wenige Touristen nach Venedig, man wollte das Geschäft beleben. Das war im 17. und 18. Jahrhundert ganz anders. Der venezianische Carnevale war in ganz Europa berühmt. Dort gab es diverse Opernhäuser, Kaffees, Spielkasinos und viele verlockende erotische Abenteuer. Deshalb wundert es uns nicht, dass auch unser Stadtgründer Karl Wilhelm 1712 hier in seinem Element war. Allerdings traf ihn da auch ein harter Schicksalsschlag. Sein ältester Sohn, der Erbprinz, war in jugendlichem Alter überraschend verstorben.
Wir kennen viele Gemälde aus dieser Zeit, die uns von den vielen Festen im Carneval erzählen. Ach viele musikalische Kunstwerke wurden für Theater, Bälle, und Kostümfeste komponiert. Unzählige Musiker, Maler und Dichter kamen hierher, natürlich auch Goethe. Reiche Adlige und Lebemänner, wollten die Welt Casanovas kennen lernen. Wo der Adel sein Vergnügen suchte waren, auch liebliche Frauen zu finden. Unter einer Maske ließ sich viel verbergen. Denken Sie nur an die Fledermaus, die freilich viel später in Wien den Herren um die Nase flog.
Von dieser Wiedergeburt des Carnevale in Venedig las man viel in den Zeitungen und Zeitschriften. Ein herrliches Winterfoto ist mir noch im Gedächtnis. Es zeigt zwei Männer mit wehenden Mänteln und der Bauta. In dichtem Schneegestöber gehen sie alleine über den leeren Markusplatz als kämen sie gerade aus dem ältesten Cafe Venedigs, dem Florian. Ihre Fußspuren im Schnee zeigen in Richtung Dogenpalast und Piazzetta. So stellte ich mir den Morgen vor, der in der Operette „Eine Nacht in Venedig“ folgte.

Entschlossen buchte ich beim Hirsch Reisebüro eine Busreise. Das Hotel war weit weg in Abano. Die morgentliche Fahrt ging durch die in dieser Zeit oft neblige Prosecco-Gegend. Knorrige Weinstöcke standen im Schnee, der im Gegenlicht der aufgehenden Sonne glitzerten. Gegen 11 Uhr erreichten wir unser Ziel, den sonntäglichen Markusplatz. Zu dieser Zeit war er noch fast leer. Gewaltig eindrucksvoll ertönte die tiefe Glocke der Markuskirche. Bei den Löwen auf der Treppe zum Campanile standen die ersten Masken.

Die wundervolle Musik Vivaldis, der Winter aus den Jahreszeiten, erfüllte den großen leeren Platz. Man hört die klirrende Kälte, die Vivaldi tatsächlich 1723 in Venedig erlebt hatte, als die Kanäle zugefroren waren. Ein schöneres Erlebnis kann man sich kaum vorstellen, als diese ewig ergreifende Musik auf dem schönsten Theaterplatz der Welt zu hören. Eine kleine Holzbühne war schon aufgebaut auf der später junge Schauspieler der Commedia del Arte mit unglaublicher Begeisterung Goldoni Stücke spielten. Bei wärmeren Sonnenstrahlen erklangen dann Ohrwürmer: die ungarischen Tänze von Brahms, Walzer von Strauss, die Barcarole aus Hoffmanns Erzählungen, und vieles mehr. Junge Leute hatten schon ihre Schminkköfferchen mit Spiegel ausgepackt um mit viel Fantasie Gesichter zum Beispiel in ein hübsches Kätzchen zu verwandeln.
Von da an wurden die Reisen zum Carnevale bereits im November gebucht. Zunächst hatte ich bewusst keinen Fotoapparat dabei – nur Zeichenstifte und einen kleinen Block. Wenn schöne Masken bemerkten, dass man sie zeichnete, dann hielten Kleopatra und Nofretete auch 5 oder 10 Minuten mucksmäuschen still. Die Kälte sorgte dafür, dass ich mich beeilte und nicht über jeden Strich lange nachdachte. So ergeben sich lebendige Zeichnungen.
Ein Jahr später kaufte ich mir dann doch einen guten Fotoapparat. Einige der Fotografen zitterten vor Aufregung, nur um ein einigermaßen gutes Bild von den fantasievollen Masken zu bekommen. Halbmasken finde ich schöner. Sie bringen wunderschöne Augen zur Geltung. Noch schöner als die Industriemasken sind jedoch die geschminkten Gesichter. Es waren sicher viele Künstler vom Theater dabei, die dort vorübergehend Kostüme ausgeliehen hatten.

Sicher war auch ich aufgeregt bei den ersten Bildern – man war ja noch nicht digital. Eine Person musste unbedingt vom Fotoapparat eingefangen werden: Eine Sissi in weißem Kleid, langem schwarzen Haar, das mit Sternen und Rosen verziert war. Ihr Gesicht war leicht hinter einem Schleierchen und kleinem Sonnenschirm mit Buranospitzen verborgen. Sie saß im Freien an einem kleinen Tisch des Café Quadri. Wie eine Filmschauspielerin war sie von unzähligen Fotografen umringt. Sissi war mein Traum seit ich 16 war. Romy Schneider war ja nur ein Jahr älter als ich. Mit ihrer Natürlichkeit hatte sie auch mein Herz erobert. Sissi, ich weiß nicht mehr wie viele Kostüme sie hatte. In der Akademie huschte sie einmal in einem blauen Kleid an mir vorbei.

Viele Jahre später. Ich saß mit Lisa an einem kleinen Tisch im Florian. Mittlerweile zeichneten wir nicht mehr bei Eis und Schnee im freien, sondern gemütlich bei Prosecco und Kakao. Ich schaute auf und sagte: “Sissi ist wieder da.“ Unser Tischnachbar hatte mitgehört. Er fragte: „Meinen Sie den Belgier? Inzwischen sieht man doch sein Alter – und die gelben Raucherzähne!“ Wie eine Seifenblase zerplatzte meine Illusion.

Mit Recht behaupten manche, der Name der Stadt Venecia stamme vom lateinischen „Veni etiam“ ab und bedeutet also: „Komm immer wieder“, denn sooft du auch kommst, du wirst immer Neues erblicken und neue Schönheiten sehen. Das ist nicht von mir sondern von Fracesco Sansovino (1521-1586) Es hat auch heute noch seine Gültigkeit, wenn es uns Jahr für Jahr einmal nach Venedig zieht. Wer war nicht alles hier um Venedigs Schönheit zu malen: William Turner, James Whistler, Manet, Monet, Renoir….
Auch die Karlsruher Schönleber und Kallmorgen. Ob sie einmal den großen begegnet sind?

Halten Sie ihre Eindrücke im Foto fest. Nicht nur Kostüme! Bei Regenwetter sind auch Spiegelungen oder Liebespaare unterm Regenschirm mit zwei Täubchen möglich. Eines meiner gelungensten Bildern ist ein einäugiger Kater, der gerade vor einem an dem Fundament eines Hauses angeklebten Plakat sitzt das die Aufschrift: Carne… vale hat und auf Carne – Futter wartet.

Wenn man im Februar abends mit dem Zug in Venedig San Luca ankommt, dann ist es bereits dunkel. Zur „Ankunft in Venedig“ hat Hermann Hesse ein wunderschönes Gedicht geschrieben. Bei der Ausstellung in Basel: „Venedig von Canaletto und Turner bis Monet“ habe ich es mir abgeschrieben:

Ankunft in Venedig

Du lautlos dunkler Kanal ……Verlassene Bucht
Uralter Häuser graue Flucht…Gotischer Fenster und maurisch verziertes Portal
Von tiefem Traum besiegt, ……..Vom Tode eingewiegt
Schläft hier die Zeit…..
Und dies Leben scheint so weit !!!

Hier will ich ganz allein durch alte Gassen gehen,
bei Fackelschein an Gondeltreppen stehn,…….in blinde Fenster sehn,
Bang glücklich wie ein Kind im Dunkeln sein.

Venedig sollte man sich langsam nähern, um es ganz in seinen Besitz zu nehmen. Deshalb wählen wir das Vaporetto Linie 1. Auf dem Canal Grande gleitet man fast lautlos in die dunkle Nacht. Einmal eine Station rechts, dann wieder links. Von nun an wird uns für einige Tage wieder jeder Wellenschlag gehören, der an den moosbedeckten Marmorstufen endet.

Auch jeder Lichtreflex der sich von ihnen unter der Rialtobrücke ergibt. Jede Statue in den immergrünen Gärten wird uns zulächeln. Nie wird dort eine Nachtigall singen, auch wenn im Februar noch die Rosen blühen. Die Nachtigall werden wir nicht vermissen, hören wir doch in der ganzen Stadt immer wieder Vivaldi, Albinoni, Galuppi und die anderen Musiker Venedigs. Wenn auch zierliche Marmorornamente zerbröckeln und verwittern, die Scheiben in den Bogenfenstern erblinden, der Wind sich von den rostigen Gittern nährt, das Entstehen und Vergehen, der Tod gehört zu Venedig wie die lautlos gleitenden schwarzen Gondeln zu San Michele. „Hier möchte ich sterben, alt wie Titian starb, doch in verhängter Gondel und allein.“ So beginnt ein Gedicht von Richard Dehmel. Wir aber sind zum Carnevale gekommen und möchten noch einiges erleben.
Eine der ersten Stationen auf unserer Fahrt ist das Kasino. Hier also starb Richard Wagner, nicht etwa weil er in jener Nacht sein Vermögen verspielt hätte. In seiner Kasse war ja immer Ebbe. Unsere nächtliche Fahrt geht weiter vorbei an den bekannten Palästen Pesaro, CadOro. Dazwischen ab und zu Rosengärten noch im Winterschlaf. Wie schön sie sein müssen, wenn dort duftende Rosen steinerne Schönheiten umwehen. Einst waren die Gärten Venedigs sehr berühmt. Seefahrer brachten immer wieder neue exotische Pflanzen aus fernen Ländern mit, die man bis dahin gar nicht kannte. Neben Gewürzen waren auch solche Gewächse ein Exportschlager. Heute gibt es nicht mehr viele Gärten. Wer einen Garten hat, muss ein Vermögen besitzen. Gärten, in denen man sich im Sommer vor der Hitze und den Touristen verstecken kann, sind dort sehr beliebt. Donna Leon hat dieses Thema als kleinen Nebenschauplatz in einem ihrer Romane behandelt. Dieser Garten, um den es dabei geht, ist in der Nähe der einzigen Gondelwerft in Venedig und einem bekannten Weinladen, in dem Sie so gut wie alle berühmten Weine finden.
Unser Vaporetto muss nie in diese Gondelwerft. Wir gleiten lautlos am Fischmarkt vorbei auf die Rialto zu.
Dann denke ich an Nietsches Gedicht „In brauner Nacht“

An der Brücke stand – Jüngst ich…..
in der braunen Nacht.
Fernher kam Gesang:
Goldener Tropfen quoll`s über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik…

Hörte jemand ihr zu?……..

Meine Seele, ein Saitenspiel,….. sang sich….. unsichtbar berührt,
heimlich ein Gondellied dazu, …zitternd vor bunter Seligkeit.

Stand er hier mit dem Blick auf beide Seiten des Canals?
Um die Brücke ist trotz Kälte noch Leben. In den Restaurants werden die Gäste von oben und unten beheizt. Wenn das nicht reicht – noch ein Grappa. Nach der Anlegestelle Rialto fahren wir weiter und sehen auf der linken Seite den Palazzo Grimani. Dann ein Blick nach rechts. Zumindest im Sommer genießt hier Comissario Brunetti auf der Terrasse mit seiner Familie die Aussicht auf den Canal mit Rotwein. Wir blicken auf verträumte Kanäle und ich erinnere mich genau: auf dieser kleinen Holzbrücke hatte ich ein Maskenpaar fotografiert. Dann begrüßt uns die viel gemalte Santa Maria della Salute im Mondschein. Donnerstags ist hier das große Maskentreffen. Das muss man gesehen haben. Hier treffen sie wie früher im Pigalle alle: Japaner und Chinesen, Deutsche und Franzosen… Österreicher. Einer ist van Gogh mit einer Sonnenblumenpalette, der andere ein Pirat, hier eine Gescha, dort eine Jugendstildame, ein Harlekin, Casanova und und und…

Gegenüber der Salute soll sich ein Drama abgespielt haben. Der Volksmund nennt den Contarini – Fasan Palazzo auch Casa delle Desdemona. Der eifersüchtige Othello soll hier… Sie wissen schon, sie kennen Schiller und Verdi. Ja, die Eifersucht ist eine Plage. Das ist aus einer anderen Oper mit einem Zar.
Vergeblich sucht man dagegen den Palazzo in dem Giuditta einst weilte. Aus einem ihrer Fenster flogen, einer Operettenarie zufolge, einst rote Rosen. Wollte ein Liebhaber etwa ihre Eifersucht besänftigen und versuchte es mit Rosen? Bekam ein Verehrer für eine Serenade eine Belohnung? Oder können Sie mir sagen, aus welchem Grund eine schöne Frau duftende Rosen aus einem Fenster wirft? Vielleicht waren sie aber bereits verblüht. Na ja, wenn es sogar der Fritz – ich meine den Wunderlich – singt, dann muss da etwas dran sein.
Der bekannteste Theaterplatz der Welt ist nun nicht mehr weit. Das heißt, eigentlich sieht man die mit alten Laternen beleuchtete Piazzetta vor dem Dogenpalast. Hier entstieg Sissi der prächtigen goldenen Budcintoro, – oder war es eine Galeere, um vom Venezianischen Volk nicht bejubelt zu werden? Erst als ihr Bambini auf sie zustürmte, flossen die Tränen bei Venezianer und Kinobesucher. Im Danieli kennt man uns noch. Den schwarzen Gentleman am Eingang begrüße ich immer mit Handschlag. Er freut sich so. Jedes Jahr bekommen wir ein schöneres Zimmer. Natürlich im venezianischen Stil eingerichtet. Gemälde der heimischen Vedutenmaler Francesco Guardi und Canaletto,… Reproduktionen natürlich, wie auch die alten Stiche von der schönsten Stadt, aber schön gerahmt. Prosecco, Früchte, Leckereien stehen im Zimmer zum Empfang und trotzdem freut man sich bereits auf das Frühstück, denn dies wird mit dem einmaligen Rundblick auf der oberer Terrasse serviert. Freundlich werden wir von dem Kellner begrüßt, denn sie erkennen uns noch und wir sie auch. Deshalb ist ein Tisch mit Blick auf die Lagune bei Sonnenaufgang garantiert. Dieser Blick ist allemal schöner als der Blick auf meinen Kontoauszug.

Bei Regen und Nebel ist die Aussicht manchmal weniger schön. Das gehört aber auch zu Venedig. Auf der rechten Seite sieht man immer ganz nah den Dogenpalast mit der Seufzerbrücke. Man sieht auf deren Bleidach durch das Casanova so spektakulär flüchtete. Seine Schilderung ist einfach Weltliteratur. Nun, er hatte ja auch außergewöhnlich viel gelesen und war sehr gebildet, er hat die „Ilias“ übersetzt, war nicht nur Frauenheld auch Alchimist. Einmal turnen doch tatsächlich Handwerker auf den Dächern herum. Uns wird ganz gruselig. Die Turner habe ich natürlich trotzdem fotografiert.
Auch von hieraus begrüßt uns regelmäßig die Salute. Von der Terrasse aus sehen wir unter uns die noch verschlafenen Gondeln, die wie eine Perlenkette an der Befestigung des Riva degli Schiavoni liegen. Zum Teil sind schon mutige Japaner unterwegs. Nun ja, morgen müssen sie in Heidelberg und wo möglich auch noch in Rothenburg sein.

Zum Frühstück lassen wir uns viel Zeit. Seine Leckereien sucht sich jeder selber aus. Prosecco wäre auch schon zu haben. Wir aber sind ja trunken vor Glück. Im Danieli kann es passieren, dass bei lustvollem Höhepunkt auch noch das Nebelhorn eines Vaporetto ertönt. Nach dem Frühstück folgen Fotos auf der Terrasse auf der man im Sommer speisen kann. Da muss der Foto wieder einmal aktiviert werden: Lisa lächelt vor reifen Zitronen an einem Bäumchen und denkt an Goethe. Nun sind wir also im Land wo die Zitronen blühen. Die hungrigen Möwen – Riesenexemplare – wollen aber auch fotografiert werden.
Den Hintergrund habe ich schon geschildert: Salute, Dogenpalast manchmal im Rücken auch die fernen Berge!

Der Weg ins Zimmer geht vorbei an bunten Muranofenstern, vielen Spiegel und Büsten. Vorbei auch am Zimmer in dem einst Georges Sand mit dem Romantiker Alfred de Musette nächtigte. Dort erkrankte dieser allerdings und musste sein Bett dem Arzt überlassen. Vor den Suiten sind alte Möbel mit frischen Orchideen dekoriert. Das alles muss neu bewundert und fotografiert werden. Im Zimmer dann umkleiden, verkleiden: Second hand Frack von einer Hochzeit, Zylinder meines Großvaters, ein weißes Westchen mit Goldknöpfen, es ist auch 100 Jahre alt und von unserem Dorfarzt, wie auch die Fliege aus Engviller im Elsass. Die goldene Uhr hängt an einer Kette im Westchen, so wird sie vor listigen Dieben geschützt. Wichtig ist aber auch das Flanierstöckchen mit dem Silbergriff vom Flohmarkt in Bouxviller. Mit einem solchen hat der Münchner Sänger – von uns Permesso getauft – immer Passanten verscheucht.

Wir gehen am Dogenpalast vorbei zum Markusplatz. Zunächst muss man allerdings die kleine Brücke mit Blick auf den Ponte de Suspiro passieren. Neben Rialto ist sie die bekannteste Brücke. Was für eine Menschenmenge. Jeder will ein Selfy zusammen mit einer Maske. Ein Seufzer wenn man es geschafft hat. Bei diesem Gedränge war sie beinahe schon vorbei, sie, die Österreichische Kaiserin, die ich schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Sie war in einem blauen Kostüm, großem breiten Hut, ohne Maske, ohne Schleier. Spontan rief ich: „Sissi“. Sie blieb augenblicklich stehen und…… ich sah nicht in das Gesicht des Belgiers mit den Raucherzähnen. Diesmal war es eine schöne Frau! „Darf ich sie fotografieren?“ frage ich auf Französisch. (Normalerweise muss man das nie im Carnevale). „Ja natürlich, wir sind ja aus derselben Epoche.“ In Sekunden war ich in einem anderen Jahrhundert. Ihrer Schönheit bewusst, sah sie doch traurig und einsam aus. Sicher kennen sie von ihr das schöne Bild von Winterhalter. Genauso sah sie aus. War sie gerade aus ihrem Domizil, dem heutigen Museo Correr in den Neuen Prokuratien gekommen, genau gegenüber der Markuskirche, das den Platz abschließt? Man nennt diesen Teil auch den Napoleonflügel, denn er hatte ihn erbauen lassen, nachdem er die Pferde der Markuskirche geklaut hatte. Sissi hatte dort einige Zeit im November 1856 und im Januar 1887 gelebt. Diese Räume müssen sie unbedingt gesehen haben. In jedem Jahr sind wir dort und sind verzückt von der „Pompejanischen“ Malerei, den Ornamenten mit ihren Lieblingsblumen, Rosen, Kornblumen, Maiglöckchen ….. Von den Eckfenstern aus blickt man in „ihren“ Garten, den Giardini ex Reali, in dem wir uns immer vom großen Trubel erholen. Gerne ist er auch von anderen Liebespaaren besucht. Durch die Fenster ihrer Räume sieht man in der Ferne die Guidecca mit der Kirche San Giorgio. Ich bin dann plötzlich in einer Welt von gestern, wie sie Stephan Zweig, Joseph Roth oder Thomas Mann beschrieben haben, eine Welt, die mir vertraut scheint, die auch so viel mit dem Niedergang Venedigs zu tun hat. Aber weg mit diesen Gedanken, wir sind im Carnevale.

Die Markuskirche ist für schlechtes Wetter oder Überschwemmung vorgesehen. Dann ist selbst der Ketzer Hans ergriffen und sitzt still bei einer Messe neben seiner Muse. Er betrachtet all die geraubten Schätze des Orients, dankt auch für Gesundheit und Wohlergehen und für die schöne Frau, die neben ihm sitzt. Eine betende kleine Plastik eines Mönchs in dieser linken Ecke beeindruckt ihn in jedem Jahr. Die goldenen Pferde aus Bronze erreichen wir im ersten Stock. Einmalige Blicke auf den Platz. Die blaue Uhr rechts am Turm, dem Torre dell`Orlogio, zeigt die Zeit, die Mondphase und den Stand der Sonne im Tierkreis an. Auf dem Dach müssen 2 Mohren jeweils die Stunden schlagen – glückliche wie unglückliche. Links unten ist der Eingang zum Dogenpalast. Über dem Papiertor – man nennt es so, weil die Dekrete der Republik hier aushingen – kniet ein Doge vor einem mächtigen mit großen Flügeln ausgestatteten Löwen, dessen rechte Tatze ein Gesetzesbuch festhält. Er ist der Vater aller kleinen Löwen, die man überall an fast allen Häusern und Balkonen findet. Von diesem Blick da oben gibt es auch ein schönes Foto von uns zweien. Noch ist gutes Wetter, also weiter in Richtung San Stefano. Auf dem Weg dorthin kommt man rechts an einer ehemaligen Kirche vorbei. Ich weiß nicht wie sie heißt, aber bei der Vivaldi Musik sind sie richtig. Im Vivaldi Store San Marco 5537/40 sind alte Musikinstrumente zu sehen und ein Raum in dem diese einst hergestellt wurden. Und dann die Engelplastiken mit ihren fantastischen Schatten, als ob sie direkt vom Himmel geschwebt wären. Es hat mich gefreut, dass mich der CD Verkäufer noch erkannt hat. „Sie kommen jedes Jahr zu mir.“ – „Und ich habe immer wunderbare Musik bei Ihnen gekauft, die mich im Sommer im Pavillon meines Rosengartens an sie erinnern. Besonders das Andante des 6 Violincello Concerti von Vivaldi RV 417 ist so tröstend, dass ich es als letztes in meinem Leben hören möchte.“ Aber noch warten Fritelli.

Auch im Cafe des San Stefano erkennt man uns wieder, und wir erkennen die Bediensteten. Die Fritelli dort sind die besten. „Was darf es sein?“- „ beide, a la Crema und Zabaione.“ Lisa fotografiert mich wie ich den Mund aufsperre und genüsslich rein beiße. Rechts auf dem Platz in Richtung Akademiebrücke hat unser Bilderrahmenmann Alberto Cavalier seinen Laden. Er hat für mich viele Rahmen à la Franchese ?? zum Bahnhof geschleppt. Sogar die Staatsgalerie Stuttgart hat bei ihm geordert und Nancy Regan hat ihn besucht. Ein kleiner Mohr, der etwas anbietet, steht vor dem Laden. Hat er eventuell neue Masken? Etwas finden wir immer.

Gleich daneben ist die Kirche, deren schöne Gemälde man bei Konzerten bewundern kann. In der Ecke vor dem Park, in dem zu dieser Zeit oft schon Kamelien blühen, ist oder war jedenfalls ein entzückender Blumenladen mit Lilien und Rosen. Einen Katzenliebhaber, der im Zug mit seinen kleinen Katzen aus Lyon kam, habe ich dort fotografiert. Vor seinem Bauch hatte er eine Tasche, aus der rechts und links eine junge Katze schaute. Vor der Holzbrücke zur Akademie trifft man oft einige Gaukler oder gar Charly Chaplin. Von der breiten Holzbrücke hat man natürlich auch einen Blick auf den Canal mit seinem geschäftigen Treiben. Auf dem höchsten Punkt bot eine junge Frau ihre zahmen in allen Farben bunten Täubchen für Fotos an. Als die auf meinem Zylinder saßen, gelangen selbst Lisa die lustigsten Fotos. Über die Akademie mit ihren wunderschönen Bildern muss ich ja nichts berichten. Es ist ein MUSS für jeden Venedig Reisenden.

Carnevale ist natürlich nicht der einzige Grund um nach Venedig zu reisen. Die Bilder in der Akademie und die vielen Kirchen mit den herrlichen Gemälden sind es auch. Schließlich sind wir Freunde der Kunsthalle Karlsruhe und beide Maler und Musikliebhaber. Deshalb freuen wir uns auch immer auf eine Opernaufführung im Fenice, das Opernhaus, das nach dem Brand wahrlich wie ein Phönix aus der Asche wieder entstanden ist. Davor waren wir, natürlich kostümiert, bei einer Opernaufführung. Wir saßen in der Loge rechts direkt über dem Orchestergraben. Kaum zu glauben: Im wieder aufgebauten Fenice waren wir auf genau demselben Platz. Maria Callas hat dort oft gesungen. Es gibt ein gelungenes Foto von ihr und mir. Lisa hat mich dort täuschend echt mit einem Foto von ihr fotografiert.

Eine Opernaufführung im Palazzo Barbarigo ist aber noch besser. In diesem Palazzo war nicht nur Tiepolo als er 2 Deckengemälde malte. Die Eigentümer haben auch später viele bekannte Maler empfangen. Nun werden für ca. 60 Besucher in 3 verschiedenen Räumen im 1. Stock Opern aufgeführt. Dort gefällt es mir fast noch besser als im Fenice, denn mit ihrer Auftrittsarie empfängt dort Traviata ihre Gäste persönlich mit einem Glas Sekt. Und da ich wie Verdi gekleidet in der ersten Reihe sitze….. bin ich natürlich Gast und einer ihrer Liebhaber. Ich empfehle Ihnen aber den Barbier von Rossini, denn von Traviata könnten sie ja lungenkrank werden. Wenn sie allerdings zu einem Glatzkopf neigen, kann es beim Barbier schon einmal sein, dass ihnen Figaro im Salon eine Perücke überstülpt. Und dann singt er ja auch :“ Mein Herr sie müssen sich verkleiden — als Soldat.“ – „Als Soldat?“ – „Heute kommen neue Truppen…Und dann müssen sie den Betrunkenen spielen“ ….“ Den Betrunkenen?“ –„Was so recht betrunken heißt“, denn betrunken und verkleidet, dann kann man so allerlei anstellen. Dann wird der Barbier den Vormund 2 Meter vor Ihnen so richtig einseifen, um ihn zu rasieren. Eine Szene die natürlich lange ausgedehnt wird, um mit der schönen listigen Rosine turteln zu können. Dies wird einmalig gesungen und gespielt. Solch ein Opernerlebnis gibt es nur einmal und zwar nur im Barbarigo. Im Baldachinzimmer wird dann mit der Gewittermusik die Entführung Rosinchens geplant. Je nach Oper sterben dort auch Traviata oder Gilda. In diesem Zimmer wurde auch der Schluss eines Commissario Brunetti mit Maria Furtwängler als Mörderin gedreht. Das Kommissariat von Brunetti ist übrigens leicht zu finden. Es ist in der Nähe des Ospedale. Gehen Sie nur in Richtung des Duftes frisch gesottener Fritelle a la Crema oder Zabaione.

Herzhaftes, Einheimisches gibt es jedes Jahr mindestens einmal im „Rivetta“, einem kleinen Lokal direkt neben dem schmalen Kanal um die Ecke des Danieli, am Canal delle Rasso. Nach den ersten Stufen über eine kleine Brücke schaut man in ein großes Fenster. Dort sieht man schon welche Fischspezialitäten hier zum Essen angeboten werden. Natürlich mit Zitronenscheiben dekoriert und man weiß nicht: sind es diese Zitronen, Krabben oder Garnelen die einem das Wasser im Mund zum Sprudeln bringen? Seit Jahren kennt man uns dort. Der kleine lustige immer fröhliche Kellner erinnert mich an einen Jockey. Er begrüßt Lisa immer mit „Principessa“ und mich mit „Cavalière“. Die unterschiedlichen vielen Bilder an den Wänden im engen Lokal ergeben eine besondere Atmosphäre. Auf all dies freuen wir uns wieder. Auch auf die Commedia del Arte Aufführungen der jungen Schauspieler auf dem Markusplatz. Schauen sie nur auch in die Gesichter der Kinder! Gespielt wird auf einer einfachen Holzbühne direkt vor dem Dogenpalast. Kulisse: zarte durchsichtige Seide. So war dies schon zu Casanovas und Goldonis Zeiten. Die jungen Schauspieler sind einmalig engagiert mit unglaublicher Mimik. Ich habe ihnen eine CD mit vielen Bildern ihrer Aufführung geschenkt.
Im gleichen Jahr wurde ich auch zufällig zum Filmschauspieler. Nach dem Frühstück im Danieli gehen wir immer in die einzelnen Stockwerke mit den prächtigen angestrahlten Gemälden, den alten Möbeln, den orchideengeschmückten Tischen, den maskierten Schaufensterpuppen, den Plastiken. Eine davon ist die Holzplastik einer Afrikanerin mit dicken Lippen. Sie lockt zum Fotokuss. Eine andere Dame, seit ca. 1850 zu einer Steinplastik erstarrt, hat einen halbentblößten etwas staubigen Busen, den der pedantische Zylinderträger unbedingt mit entsprechendem Augenaufschlag säubern muss. Vor dem offenen Kamin standen maskierte Puppen, mit denen ich Kurzsichtiger auf Knien eine Konversation führte. Wir hatten mächtig Spaß dabei. Dies musste ein kleines französisches Filmteam bemerkt haben. Man fragte mich, ob ich die eine oder andere Szene nicht wiederholen könne. „Selbstverständlich“ – „Bitte, auch etwas in französischer Sprache?“ Was sollte ich bloß sagen ohne Skript? Warum sollte ich nicht die maskierte Rokoko Dame zu der Uraufführung meiner Traviata im Gran Teatro La Fenice einladen? Schließlich sprach man mich doch immer wieder als Verdi an! Ich habe mich selber nicht gesehen. Aber kaum zu Hause, hörte ich über meinen Auftritt von unserer elsässischen Nachbarin und einem Buchhändler aus Wissembourg, die den Bericht über das Danieli gesehen hatten.

Ein Jahr später. Wir kamen gerade vom Arsenale und hatten dort die größte Löwenparade Venedigs abgenommen. Wie immer räkelten sich die großen wie die kleineren Löwen in der Sonne, waren gar nicht furchterregend sondern lächelten gut gelaunt wie im letzten Jahr. Sie waren dankbar, dass sie vor langer Zeit von weitgereisten Seefahrern geraubt wurden. Auf ihrer Rückfahrt musste jeder Kapitän solche Schätze mitbringen. Der Doge hatte das angeordnet. Venedig sollte die prächtigste Stadt der damals bekannten Welt werden und ist es für mich bis heute geblieben. Habe ich vielleicht schon einmal hier gelebt? War ich ein Gehilfe von Veronese, Tizian oder Tiepolo? Wer weiß.

Wer kam uns da auf der großen elegant geschwungenen Brücke beim Arsenale entgegen? – Sissi – Sie war in Begleitung ihres Sohnes, einem österreichischen K und K Offiziers. Augenblicklich dachte ich an den von Trotta. Sie passten gut zusammen. Sissi erkannte mich wieder. „Ich habe Sie im Fernsehen gesehen“ – „Das freut mich. Ich habe eine Geschichte darüber geschrieben, aber in Deutsch.“ – „Schade, ich würde sie nicht verstehen. Aber Freunde würden sie übersetzen.“ Wenn Sie nach Venedig kommen: Im Cafe Florian hängt gegenüber der Bar ein großes Foto. Nicht von ihr, es ist die belgische Sissi aus der Zeit noch ohne Raucherzähne.

Hans Amolsch

Zwei venetianische Lieder von Thomas Moore sind von Schumann vertont: Leis rudern hier mein Gondolier, leis, leis! Die Flut vom Ruder spüh`rn so leise lass, dass sie uns nur vernimmt, zu der wir zieh
und: Wenn durch die Piazzetta die Abendluft weht (Op.25 Nr. 17 und 18.)

Von mir gibt es ein Foto, da muss ich ungefähr 5 Jahre alt gewesen sein. Man hatte mich als Rotkäppchen verkleidet. Ein Jahr später war ich dann ein Kaminfeger, hatte eine kleine Leiter und einen Zylinder. Schon damals gab es nicht Schöneres als verkleidet zu werden.

Alle Bilder im Beitrag © Hans Amolsch