Wandern am Gardasee

Italien und speziell der Gardasee, das waren schon immer Sehnsuchtsziele für die „Tedeschi“ jenseits der Alpen. Kaum sind die seit Jahrzehnten völlig verrosteten Leitplanken an der Brenner-Autobahn überwunden lockt das Land, in dem die Zitronen blühen. In unserem Fall folgte nicht nur eine Handvoll Wanderer dem Ruf der spektakulären Seenlandschaft Oberitaliens, und wir erlebten eine spannende und abwechslungsreiche Woche


Tag 1: Völlig unaufgeregt verlief glücklicherweise unser Anfahrtstag. Harald Ludwig am Steuer des neuen, hochmodernen Reisebusses, in dem er jetzt fast nichts mehr zu tun hat, entpuppte sich währen des Urlaubs als Gemütsmensch mit Nerven wie italienische Pappardelle, den wirklich nichts aus der Ruhe bringen konnte. Völlig entspannt plauderte er zur Auflockerung immer mal wieder über seine Erlebnisse auf bisherigen Reisen und ließ nebenbei eine Diashow laufen mit eigenen, hübsch inszenierten Landschaftsfotos. Unser Vier-Sterne-Hotel Splendid Palace, nur wenige Gehminuten vom Ortszentrum Limones entfernt, gefiel sofort durch den fantastischen Panoramablick über den See von allen Balkonen aus.

Tag 2: Unseren Wanderführer, Dottore Helmuth Schenk, hatten wir bereits beim Abendessen kennengelernt. Nachdem man sich gegenseitig ein wenig beschnuppert hatte registrierte er schnell, dass sich unser wacher Geist weniger von Jahreszahlen und harten Fakten als vielmehr von lebendigen Geschichten und Anekdoten begeistern ließ. Dabei trug er mit seinem herrlichen Mutterwitz, seiner Schlagfertigkeit und seinem spitzbübischen Humor entscheidend zur gelungenen Zwerchfellmassage während des Urlaubs bei, die stellenweise fast in Muskelkater ausartete.

Bereits seine erste ausgewählte Wanderung war ein absolutes Highlight. Die alte Serpentinenstraße Sentiero del Ponale Giacomo Cis, benannt nach ihrem Erbauer, wurde 1847 in den Fels des Rocchetta-Massivs gesprengt. Sie ist heute für Autofahrer gesperrt und gilt als Traumtour für Wanderer, allerdings auch unzählige Mountainbiker, denen wir häufig ausweichen mussten.

Die 4,5 Kilometer lange, panoramareiche Strecke beginnt in der Nähe des Hafens von Riva. Mit fantastischen Ausblicken über den Gardasee und die umliegenden steilen Felswände, denen die Fotografen unter uns alle paar Meter zum Opfer fielen, zieht sie sich über zahllose Windungen, Tunnels und Brücken hoch zum Ledrosee. Nach einem leckeren Mittagessen, bei dem unsere Irene ihren brennenden Wunsch nach hausgemachtem Tiramisu schon mal höchst zufrieden abhaken konnte, startetet wir den Pfahlbauten am See einen Besuch ab.

Das grandiose Naturschauspiel der Varone-Wasserfälle setzte dem gelungenen Tag zum Abschluss noch das Krönchen auf. Mit unglaublicher Wucht stürzt ein fast 100 Meter hoher Wasserfall durch einen turmhohen Spalt im Fels und teilt sich in farblich angestrahlte Kaskaden, ausgehöhlt in über 20.000 Jahren andauernder Erosion. Ausgelöst wird er von dem Bach Magnone, der nach seinem spektakulären Wie-deraustritt als Fluss Varone in den Gardasee fließt. Ein sehr achtsam angelegter, blumenreicher Park, ein-schließlich des sauber gerechelten Zen-Gartens, umschließt den Wasserfall wie ein Kokon. Franz Kafka war ebenso hier wie Kaiser Franz Joseph, Thomas Mann verwertete den Varone-Wasserfall sogar in seinem „Zauberberg“, erfuhren wir von unserem Wanderführer.

Tag 3: Der Wettergott war uns heute Morgen nicht so richtig wohlgesonnen. Dennoch fuhren wir mit der Seilbahn hoch auf den Monte Baldo. Dieser Gebirgszug zwischen Gardasee und dem Etschtal ist bekannt für seine einzigartige Flora mit vielen seltenen Blumen, von denen wir allerdings im tristen Aprilwetter nichts zu sehen bekamen. Die Witterung war eindeutig noch zu frisch für vorwitzige Knospen.

Was jedoch während unseres kleinen Streifzugs auf dem Bergrücken La Colma bis zum Aussichtspunkt Ventrar beeindruckte waren die Gleitschirmflieger. Die stürzten sich todesmutig in Richtung der riesigen Wasserfläche – obwohl ihr direkt am Seeufer liegender Landeplatz in Navene, einem Ortsteil von Malcesine, gefühlt nur eine schmale Handtuchbreite ausmacht. Deshalb und aufgrund der schwierigen Windverhältnisse am Monte Baldo ist eine Schwimmweste für die Luftpiraten Pflicht.

Ganz nebenbei erfuhren wir von unserem Dottore die blumig ausgemalte Entstehungsgeschichte des Gardasees. Demnach hatte sich Flussgott Benacus in eine holde Nymphe mit blauen Haaren verguckt, die je-doch nicht von ihrem Berg herunterkommen wollte. Zornig schleuderte der Verschmähte seinen Speer in den Monte Baldo, der sich daraufhin zum Gardasee öffnete. Beeindruckt von seiner männlichen Kraft ließ sich die Nymphe nun doch erweichen und verlieh mit ihren Haaren dem See seine azurblaue Färbung.

Nach Abfahrt zur Mittelstation in San Michele mit der Bahn wanderten wir vorbei am hinter Zypressen versteckten, gleichnamigen Kirchlein über einen schönen Waldsteig hinunter zur Via Panoramica. Über teils steile Zufahrtsstraßen erreichten wir das zauberhafte Malcesine mit seinen schmucken Gässchen. Die verleiteten nicht nur zum ergiebigen Einkaufsbummel, wobei wir unserem Fahrer geistig ein Dankgebet für das am Ende der Woche enorme, aber von ihm mit einem wissenden Lächeln zur Kenntnis genommene Zusatzgewicht des Busses sandten. Viele schnuckelige Kneipen am Hafen bescherten uns beim Limoncello- oder Aperol-Spritz anschließend Urlaubsgefühle vom Allerfeinsten.

Tag 4: Der Tag heute stand zur freien Verfügung, aufgrund der miesen Wetterprognose fiel die Alterna-tivwanderung aus. In kleinen Gruppen verbrachten wir unsere „Freizeit“ trotzdem höchst produktiv und gleichzeitig entspannt. Einige gingen rund um unser Hotel auf Tour, besuchten die Ölmühle oder das Museum Limonaia del Castel in Limone.

Die alten, heute nicht mehr genutzten Zitronengewächshäuser sind besonders am nördlichen Ortsrand mit ihren charakteristischen eckigen Steinpfeilern auch vom Wasser aus gut zu sehen. Interessant sind unter anderem die steinernen Bewässerungskanäle, die das ganze Areal durchziehen. Der Name des Ortes Limone, der fälschicherweise immer den riesigen regionalen Zitronen zugeordnet wird, stammt allerdings vom römischen Limes ab. Hier verlief früher die Grenze zwischen Italien und Österreich, heute die zwischen der Lombardei, zu der Limone gehört, und dem Trentino.

Unser Wanderführer hatte auch hier wieder eine passende Geschichte parat zur Entstehung Limones. Demnach sollte sich die Zwillingssöhne des Flussgottes Benacus beruflich jeweils der Landwirtschaft und der Fischzucht widmen. Die Taugenichtse frönten jedoch lieber der Jagd. Nach einem schweren Wildunfall hing das Leben des einen am seidenen Faden. Die schöne Nymphe des Benacus rettete ihn jedoch mit einem Zaubertrank, worauf er Gehorsam schwor und sich fortan dem Zitronenanbau verschrieb.

Tag 5: Eine dichte Wolkendecke bescherte uns heute eine fast schon mystische Stimmung aus Licht und Schatten auf unserem Pfad entlang des Fahrradweges nach Tenno. Nach Durchquerung des altertümlichen Ortes erreichten wir über einen gepflasterten Hohlweg den Weiler Calvola. Hier sind deutlich die Auswirkungen des Erbrechts zu sehen, das alle Beteiligten zu gleichen Teilen bedenkt. Was es mit sich bringt, dass ein Teil des Hauses bewohnt sein kann und kräftig ausgebaut wird, während etwa am oberen Stockwerk oder der Doppelhaushälfte sichtlich der Zahn der Zeit nagt, da hier vom jeweiligen anderen Erben nichts investiert wird.

Das mittelalterliche Dörfchen Canale mit seinen verwinkelten Gässchen, eng aneinander gedrängten Häusern und bunten Fresken an den Fassaden wurde von Giacomo Vitone, dem „Picasso von Riva“, als Künstlerdorf wiederbelebt. In den 60-er Jahren fuhr er mit dem Fahrrad hoch auf den Berg um hier zu malen. Er renovierte das Künstlerhaus „Casa degli Artisti“ und lud Künstlerkollegen gegen den Obolus eines entstandenen Bildes ein, hier zu wohnen und zu arbeiten. Heute hat der Ort wieder 35 Bewohner, darunter auch Deutsche.

Wir wanderten weiter hinauf zum Tennosee mit seiner ganz außergewöhnlich smaragdgrünen Farbe. Sein viel zu niedriger Wasserstand zeigte sich an einer vorher zu Fuß nicht erreichbaren Insel, die heute problemlos erwandert werden kann. Den krönenden Abschluss des Tages bildete eine Verkostung in der Weinkellerei Pisoni in Pergolese. Besonders stolz ist man hier auf die neue Sorte Reboro, eine edle Kreuzung des Experten Rebo Rigotti aus Merlot und Teroldego von intensiv rubinroter Farbe.

Tag 6: Das Naturwunder Aril, den mit 175 Metern Länge wohl kürzesten Fluss der Welt, durften wir gleich frühmorgens bestaunen. Bei allerbestem Wanderwetter ging es über Ölbaumterrassen und Maultierpfade aufwärts zum Weiler Pozzo und mit immer wieder faszinierendem Blick auf den See steil hinunter zu den Ruinen des verlassenen Dorfes Campo. Es mutet an wie einer der verwunschenen Lost Places, die Natur holt sich hier zu-rück, was ursprünglich ihr gehörte.

„Aus der Immobilie lässt sich was machen“ meinte unsere Moni dazu lakonisch. In der kleinen, erstmals im Jahr 1023 in Dokumenten des Veroneser Klosters San Zeno erwähnten Kapelle San Pietro in Vincoli, beeindruckten uns die gut erhaltenen Fresken. Durch silbern glänzende Olivenhaine wanderten wir gemütlich talwärts nach Brenzone, wo wir uns am Hafen mit Blick auf die Seepromenade stärkten.

In Riva del Garda, diesem quirligen Tummelplatz der jungen Generation, wollten wir uns am liebsten sofort ins Getümmel stürzen. Doch zum Glück folgten wir brav unserem Wanderführer mit dem neuen Panoramalift hoch zum Bastione, einem halb verfallenen Rundturm oberhalb der Stadt. Der Ausblick von hier über den See und die Küste von Riva war fantastisch. Zum Bummeln und shoppen blieb uns dann immer noch genug Zeit.

Tag 7: Leider ging diese Woche viel zu schnell vorbei. Doch immerhin hatten wir abends an der Bar bei spritzigen Getränken oder Averna unser Italienisch etwas aufgepeppt. Unserem Reiseleiter wünschten wir „In Bocca al Lupo“ (Hals- und Beinbruch) für seine weiteren Wanderreisen und verabschiedeten uns herzlich gegenseitig “Fino alla prossima“, bis zum nächsten Mal.

Hier gelangen Sie zu den Reisen an den Gardasee: https://www.hirschreisen.de/reiseziele/italien/gardasee/