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Istanbul, blaue Moschee

Istanbul ist umwerfend. Die Frau unseres Chefs war damals noch nicht in New York gewesen und in keiner asiatischen Großstadt. Es stand ihr kein Maßstab zur Verfügung, um die lauten, großartigen, wilden Eindrücke einzuordnen, die Istanbul zu bieten hat. (Reisende haben dieses Vergleichsbedürfnis auf der ganzen Welt. In Chile sagen sie: „Das sieht aus wie in der Schweiz“, und in Südafrika: „Das ist ja wie in der Eifel.“)

Istanbul traf die Frau unseres Chefs mit ungebremster Macht. Sie hatte einen Kulturschock. Staunend bewegte man sich in den kommenden Tagen durch die Stadt am Bosporus. Die Stadt auf zwei Kontinenten. Ja, die Frau unseres Chefs war davon tief bewegt, zum ersten Mal in ihrem Leben in Asien zu sein – das passiert einer Karlsruherin nicht alle Tage.

Hier ruft der Muezin. Die Stadt ist rastlos und lebendig. Ein unablässiger Verkehrsstrom füllt die Straßen. Fußgänger sind in Istanbul anders als z.B. in Palermo nicht heilig – Fatima hat wohl andere Sorgen. Fußgängerwege werden durch bis zu 50 cm hohe Bordsteine von der Fahrbahn abgetrennt. Ihr Belag selbst ist von hunderttausend Schritten blank gescheuert und wird von einem schmierseifeartigen Staubfilm bedeckt. Alltag zwischen Artistik und Todesmut. Welchen Luxus ein begrünter, kühler Innenhof bedeutet, lernt man in Istanbul.

Im Hotel begegneten der Chef und seine Frau zum ersten Mal komplett verschleierten Frauen. Die Irritation darüber hält ehrlicherweise bis heute an. Im schmuck- und fensterlosen Frühstücksraum fand diese Begegnung statt. An einem Tisch gegenüber saßen vier junge Leute. An der Wand die beiden Frauen, zum Gang die Männer. Alle vier keine 20 Jahre alt, wohl Pilger oder Touristen aus einem muslimischen Nachbarland. Heute würde man sagen, dass sie einen eher verschüchterten Eindruck machten, wie sie da zu viert zusammen saßen. Damals aber war der Anblick einer jungen Muslima, die vorsichtig den Gesichtsschleier zur Seite schob, um einen Happen Brot abzubeißen, oder einen Schluck aus der Teetasse zu nehmen einfach niederschmetternd.

Der Topkapi Sarai allein ist mit seiner unübertrefflichen Lage über dem goldenen Horn faszinierend. Da man die kostbarsten Schätze die er beherbergt, die Miniaturen, sowieso nicht sehen kann und weil man sich in die lange Schlage vor dem Harem nicht einreihen wollte, streifte unser Chef auf dem Gelände umher, genoss die Aussicht und beobachtete die anderen Menschen. Im Topkapi wird eine kostbare Reliquie des Propheten Mohammed bewahrt, die von unzähligen Gläubigen besucht und verehrt wird. Elegante junge Musliminnen in langen körpernahen Kleidern und mit aparten Kopfverhüllung auch hier. Es sah wunderschön aus. Für die Damen und Herrschaften aus der arabischen Welt waren der Chef und seine Frau jedoch – Luft.

Bei der Abreise aus Istanbul begann eine Abfolge von Schusseligkeiten. Zunächst bemerkte man, dass man den Fotoapparat in einer Schublade im Hotel hatte liegen lassen. Da die Cousine unseres Chefs wenige Tage später auch Gast im betreffenden Haus sein würde, einigte man sich telefonisch darauf, ihr den Apparat mitzugeben. Im Etappenhotel in Bursa musste man am Abend allerdings feststellen, dass man bei der Abreise etwas noch viel wichtigeres hatte liegen lassen als einen Fotoapparat: die Reisepässe! War man zum ersten Mal unterwegs? Nö. Waren einem die Abläufe bei Checkin und Checkout in Hotels fremd? Nö. War man sonst irgendwie schief gewickelt? Eigentlich auch nö, aber angestrengt schienen wir schon. Was tun? Wieder mussten wir das Hotel in Istanbul anrufen und man wollte und konnte uns auch dieses Mal helfen. Der Bruder des Nachtportiers, ein Lehrer, war bereit sich in den Nachtbus nach Bursa zu setzen und die Pässe ins Hotel zu bringen. Gegen drei Uhr in der Nacht stand er vor der Zimmertür und streckte unserem Chef die Papiere entgegen. Die vereinbarte Bezahlung wurde schnell abgewickelt, da sich der junge Mann sogleich wieder in den Rückbus nach Istanbul setzten wollte. Wir waren erleichtert, berührt und natürlich auch beschämt.

Nach diesen Erfahrungen haben wir nie wieder ein Hotelzimmer verlassen, ohne zuvor in jede Schublade und jedes Schrankfach zu schauen – auch wenn wir gar nicht ausgepackt hatten. Und seither muss ich jedes Mal beim Checkout vor dem Verlassen des Hotels fragen: Hast du die Papiere?

Der Chef reiste weiter in den Süden nach Bodrum. Von Kuschadase aus wollte man in ein paar Tagen die Fähre zurück nach Venedig nehmen. Nach Lektion drei und vier .

(Fortsetzung folgt.)