Sweet Cherry Blossom, Teil 3

 
 

Montauk Point, Copyright: Tim Hettler NY NY USA

Montauk Point, Copyright: Tim Hettler NY NY USA

Long Island 
Im Frühjahr 2006 unternahmen unser Chef und seine Frau eine denkwürdige Reise nach New York und Long Island. Lesen Sie hier die Fortsetzung:

Früh brechen wir mit Liane bei strahlendem Wetter zu einem Ausflug nach Long Island auf. Wir verlassen die Stadt mit dem Leihwagen in Richtung Osten mit Ziel Montauk Point am äußersten Ostzipfel der Halbinsel. Ein Weg, der immerhin drei Stunden dauert. Nüchtern betrachtet ist Long Island von der Größe Mallorcas. Vom geologischen Standpunkt ist es eine eiszeitliche Moräne mit viel sandig, lockerem Boden und einer sagenhaften maximalen Erhebung von 10 Metern über NN.

Assoziativ weckt die Halbinsel viele Vorstellungen und Vorurteile in uns: als Insel der Schönen, Reichen und des weißen Geldadels oder als Eldorado der VIPS, gut dotierter Künstler, Stars und der Halbwelt. Natürlich gibt es die dort, aber wir wollen uns ja nicht den Tag verderben und gönnen ihnen das schöne Fleckchen Erde. In Suffolk County gibt es auch noch ganz normale Leute, Gärtner, Fischer, Händler, Gastwirte etc.

Für uns Gymnasiasten der 70er Jahre gehörte Max Frischs autobiografische Erzählung „Montauk“ von 1975 zur Pflichtlektüre. Bei unserem Besuch suchen wir diese nicht zu greifende Melancholie oder melancholische Natürlichkeit Frischs, deren Echo noch heute in unseren Ohren klingt. Beim Wiederlesen des schmalen Taschenbuchs nach Jahrzehnten fällt mir am meisten die Bemühtheit Frischs auf, alles zu beschreiben, nur nicht seine Gefühle. Aber die drängen sich einem hier mächtig auf. In der Art: „Oh, Gott, ich könnte wirklich frei sein.“ Mit den Windstößen, die über das flache Land wehen, fliegen Erinnerungsfetzen an unser Leben jenseits des Atlantiks auch an uns vorbei… Ja, Frisch war mächtig in diese zierliche Lynn verknallt, mit der er auf Long Island ein Wochenende verbrachte. Zumindest war er scharf auf sie – aber er tut die ganze Zeit betulich und neutral – der Lügner. Auf den ersten Seiten beschreibt er einen Spaziergang am Strand, auf dem er hinter ihr geht: „Es gibt nicht nur Äste, die über den Pfad hängen, so dass man sich bücken muss; ab und zu liegt auch ein dürrer Ast auf dem Boden, dann hüpft sie darüber. Sie ist sehr schlank, nicht knochig. Ihre Bluejeans sind bis zu den Waden gekrempelt; ihr kleines Gesäß in der knappen Hose, die sie ohne Gürtel trägt, und in der Seitentasche steckt ein Kamm. Sie ist nicht größer und nicht kleiner als er, aber leichter. Ihr Haar, wenn sie es offen trägt, reicht bis zu den Hüften; jetzt hat sie es hochgeknotet, ein roter Roßschwanz, der beim Gehen pendelt. Da auf den Pfad zu achten …“

Frisch war wenigstens ein ganzes Wochenende dort, wir verbrachten nur „a day in the Hamptons“ wie die Einheimischen bescheiden aber andeutungsschwanger zu sagen pflegen.

Long Island macht Frauen schöner. Oder Männer empfänglicher für die wahre Schönheit des Weibes. Auf jeden Fall liefern Schriftsteller einprägsame Frauenportraits von dort. John Irving lässt in seinem Roman „Witwe für ein Jahr“, die Protagonistin Marion Cole vor unseren Augen entstehen, als sie am Fährhafen in Orient Point auf die studentische Hilfskraft namens Eddie O’Hare wartet, die ihrem Mann in diesem Sommer zur Hand gehen soll und mit dem sie eine obsessive Affäre beginnen wird. Erst eine Naturbeschreibung, dann Marion: „… sie betrachtete selten andere Menschen wenn sie ausging, was selten vorkam. Doch alle sahen sie an. Sie konnten einfach nicht anders. Als Marion Cole an jenem Tag in Orient Point wartete, war sie neununddreißig. Sie sah aus wie neunundzwanzig, oder noch etwas jünger. Während sie auf dem Kotflügel ihres Wagens saß, … waren ihre hübschen und dazu noch langen Beine weitgehend von einem Wickelrock in einem nichtssagenden Beigeton bedeckt. Die Passform ihres Rocks war jedoch alles andere als nichtssagend – er saß wie angegossen … Ihr schulterlanges, gewelltes Haar veränderte in der mit den Wolken Versteck spielenden Sonne seine Farbe von Bernstein zu Honigblond, und ihre leicht gebräunte Haut schien zu leuchten. Sie war makellos.“ Irving erfreut sich an Marions Beschreibung noch über 1 ½ Seiten, um in der Feststellung zu enden, dass es durchaus denkbar sei, „dass Marion Cole im Sommer 1958 eine der schönsten Frauen ihrer Zeit war.“

2006 müssen wir leider feststellen, dass wir den Akku des Fotoapparates im Hotel vergessen haben und heute keine Bilder machen können. Aber sonst stimmt’s. Wir haben gute Laune und es duftet wild nach Meerluft. Montaukpoint lädt zum Verweilen ein. Es sind nur wenige Menschen dort und das Wetter hält. Wir möchten den Leuchtturm besichtigen und ganz nach vorn auf die Landzunge spazieren, aber der Eintritt auf das Gelände kostet über 30 Dollar pro Person und wir verzichten.

Das Geld geben wir dann im Shop für maritime Souvenirs, Postkarten und ein paar T-Shirts aus. Wir reißen uns los und gehen in Montauk schlecht essen – aber unsere Freude, hier zu sein, ist nicht zu trüben! Auf dem Rückweg legen wir einen Abstecher in East Hampton und im superelitären Southampton ein. Am herrlichen Sandstrand reihen sich die Anwesen der „oberen Zehntausend“ aneinander. Die dichten Buchenhecken, die die Grundstücke umgeben, tragen nur das dürre braune Winterlaub und gewähren uns neugierige Einblicke. Es ist sehr schön hier.

Unsere Rückfahrt endet in einem langen Stau bei der Einfahrt nach Manhattan, aber uns geht der Gesprächsstoff nicht aus. Wir opfern der Parkplatzfee ein Stück Schokolade, das auf dem Armaturenbrett abgelegt wird und finden wenig später einen Parkplatz gegenüber von „Ruby Foo’s“, einem Restaurant, das nur die asiatischen Best of-Gerichte serviert, egal ob Chinesisch, japanisch, thailändisch oder kambodschanisch. Es ist hipp, es ist laut und auf zwei Etagen mit schwarzer Lackpanele verkleidet. Ein weiteres Mal staunen wir an diesem schönen langen Reisetag.

Der geneigte Leser vermisst weder Diebstähle noch sonstige Missgeschicke und langweilt sich hoffentlich nicht bei so viel Harmonie!

Bitte beachten Sie das New York-Angebot https://www.hirschreisen.de/reiseziele/amerika/usa/