Katalonien im Winter

Girona_Fassaden am Riu Onyar

Girona – bunte Fassaden am Riu Onyar

Dezember 2009 – Urlaub in Katalonien ist bei uns schon Tradition: Jedes Jahr im Advent besuchen mein Mann Wolfgang und ich in Girona einen befreundeten Reiseleiter, Christoph Seemann, der für Hirsch Reisen die Studienreise Barcelona und die Wanderreise Katalonien führt. Einige Stationen dieser herrlichen Reisen haben auch wir besucht – diesmal war auch unser 2-jähriger Sohn Jan dabei.

1. Tag: Vorweihnachtliches Girona

Der Flug nach Girona ist für Jan eine aufregende Sache! Erstaunlicherweise hatte sich bei der Gepäckkontrolle niemand für seine Spielzeugbohrmaschine interessiert – nun repariert er das Flugzeug damit. Am Costa-Brava-Airport angekommen staunen wir über die immensen Erweiterungsbauten und riesigen neuen Parkhäuser, die hier für den Sommer-Massenansturm entstanden sind. Dem Lloret-de-Mar-Ballermann-Trubel sind wir bisher immer aus dem Weg gegangen – das Land fern der Strandurlauber hat uns immer mehr interessiert.

Unser Stammquartier in Girona ist ein hübsch eingerichtetes Appartmenthaus in der Altstadt, direkt hinter der hohen römischen Stadtmauer. Im Garten wächst eine riesige Palme, und beim Frühstück können wir die Leute beim Mauerspaziergang beobachten. Durch die winzige Gasse mit dem Leihauto zu fahren, ist allerdings „kriminell“ (Wolfgang hat im letzten Jahr bewiesen, dass er es schafft) – daher parken wir jenseits der Mauer und schleppen Sack und Pack zu Fuß und auf Jans Kinderwagen aufgetürmt zur Wohnung. Die macht ihrem Namen „Dreams“ diesmal allerdings keine Ehre: Es ist empfindlich kalt! Daher brechen wir sofort wieder auf zu einem Begrüßungsspaziergang durch die Altstadt. Mit ihren vielen romantischen Treppengassen und dem Kieselpflaster ist sie nicht gerade kinderwagenfreundlich – aber sehr schön! Die alles überragende KathedraleSan Feliu mit den schönen Römer-Sarkophagen kennen wir schon, auch die arabischen Bäder im mittelalterlichen Judenviertel lassen wir links liegen und schauen lieber Schaufenster auf den Ramblas an, überqueren den Onyar-Fluss mit den bunten Fassaden und laufen über den kleinen Weihnachtsmarkt auf dem arkadengesäumten Platz Sant Agustí. Hier kann man überall den katalanischen „Krippenkacker“ kaufen, ein Nationalsymbol und offenbar unverzichtbar für jede patriotische Weihnachtskrippe! Mir ist der tönerne Zipfelmützenträger mit heruntergelassener Hose nicht sonderlich sympathisch – ich mag das störrische katalanische Eselchen, das viele Autos ziert, lieber! Wir erfahren, dass nächste Woche sogar eine ganze Ausstellung mit hunderten „Cacaners“ im Rathaus eröffnet wird – nun ja. Jan singt derweil im Kinderwagen „Lustig Tralalalala“. mit dem wunderbaren romanischen Kreuzgang und

Christoph hat uns zum Abendessen eingeladen – aus Rücksicht auf Jan nicht erst zu „spanischer Zeit“. Jan isst Makrelen und Tomaten aus dem Salat und probiert mit Hackfleisch gefüllte Calamares. Außerdem lernt er „Olà!“ und Buenas Noches“. Spanien gefällt ihm.

2. Tag: Am See

Die Nacht im „Dreams“ war eiskalt und traumlos. Dass selbst die Nordspanier in ihren schlecht isolierten Wohnungen nur mit einer leichten Wolldecke schlafen, ist mir total unverständlich! Natürlich habe ich weder Fleecepulli noch Jogginghose eingepackt und beneide Jan um seinen warmen Schlafsack … Doch das leckere Frühstück, das Wolfgang im kleinen Laden um die Ecke besorgt hat, baut uns wieder auf.

Christoph berichtet vom Referendum, das gerade in einigen katalanischen Provinzen stattgefunden hat: Eine große Mehrheit votierte für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien – jedoch haben sich nur 14% der 300.000 Stimmberechtigten überhaupt an der rechtlich nicht relevanten Umfrage beteiligt. So groß ist das Interesse offenbar nicht. Trotzdem: Katalonien ist nicht wirklich Spanien! Es hat eine eigene Kultur und Geschichte sowie eine eigene Sprache, die dem Provenzalischen ähnelt. Katalanisch ist zweite Amtssprache und erste Unterrichtssprache an Schulen. Selbst uns Fremden fallen die beharrliche Betonung alles Katalanischen und der stille Protest gegen „Madrid“ auf. Schilder mit spanischen Ortsnamen und Postkästen sind beschmiert, und selbst die Staatsbahn RENFE heißt hier jetzt anders, was gerade bei Touristen oft zu Verwirrung führt. Doch auch für Spanier, die aus anderen Landesteilen herziehen, ist es nicht so leicht: Erstmal muss jeder Katalanisch lernen. In den Buchhandlungen gibt es praktisch alles auch auf Katalanisch gibt – für Jan kaufe ich ein katalanisches Bilderbuch. Derzeit wird darüber diskutiert, ob mehr Filme katalanisch synchronisiert werden sollen. Die Katalanen werden oft mit den Schwaben verglichen: fleißig, sparsam, etwas spießig, wirtschaftlich erfolgreich. Christoph erzählt, dass sie die einzigen Spanier sind, die gern – bzw. die überhaupt – wandern.

Dem eifern wir nach und machen trotz des trüben Wetters einen Ausflug zum See von Banyoles nördlich von Girona. Der ist heute ganz windgepeitscht! Aber am Ufer tummeln sich viele Enten, und die nostalgischen Bootshäuschen schaukeln auf dem Wasser. Immerhin schaffen wir eine halbe Runde um den See, bis zum hübschen romanischen Kirchlein von Porqueres. Während mich die Kapitelle begeistern, ist Jan fasziniert von der Apsis-Beleuchtung, die angeht, wenn man Geld einwirft, ebenso wie die Elektrokerzen – und wir opfern all unsere Münzen. Die Hirsch-Wandergruppe, die im Juni kommt, wird den ganzen See umrunden und vielleicht eine Bootspartie machen. Wir wärmen uns nach unserer eisigen Mini-Wanderung im einzigen geöffneten Café auf. Es riecht nach scharfen spanischen Putzmitteln, man wird geblendet von einer Unmenge Glitzer-Plastik-Weihnachtsschmuck, der immerhin unseren Sohn beeindruckt. Als noch ein Mann mit Bohrmaschine auftaucht, der weitere Glitzergirlanden aufhängt, ist Jans Glück perfekt. Wenigstens ist der Caffe con leche gut und der Kakao süß und dickflüssig wie Pudding. Für diese Nacht holen wir alle Decken aus den Schränken, die wir finden können – und frieren trotzdem.

3. Tag: Ausflug nach Barcelona

Jans erste Zugfahrt überaupt führt nach Barcelona. Dort steigen wir um in die U-Bahn zum Hausberg Tibidabo, um das neue naturwissenschaftliche Museum zu erkunden. Der eisige Wind schmälert das Vergnügen am Panorama-Blick über die Stadt aufs Meer etwas. Doch das Museum ist toll gemacht. Sämtliche physikalischen Gesetze lassen sich bei Experimenten selbst erforschen – und viele Schulklassen sind da, um eben dies zu tun. Auch Jan erzeugt Wellen und Sandstürme und bewundert das riesige Foucaultsches Pendel. Ein Experiment zeigt durch Lichtbrechung die Druckverteilung bei verschiedenen Gewölbeformen. Und – oh Wunder! – weder die Römer noch die Erbauer gotischer Kathedralen, sondern der Katalane Gaudì hat am stabilsten gebaut! Während Christoph im Planetarium Zeuge des Urknalls wird, erkunden wir den Nebelwald. Anschließend stehen Tapas in Christophs Stammlokal auf dem Programm. Jan hat eine eindeutige Vorliebe für Gambas in Knoblauchsoße, der kleine Feinschmecker! Zum Nachtisch gibt’s erotische Kunst im Picasso-Museum – vor allem Picassos Sammlung japanischer Holzschnitte ist eindrucksvoll. Die ständige Sammlung zeigt u.a. das ganz erstaunliche Oeuvre des ganz jungen Künstlers und seine unzähligen Variationen über Velasquez’ Meninas. Das Museum liegt mitten im Barri Gòtic mit seinem mittelalterlichen Gassengewirr.

Barcelona fasziniert uns immer wieder aufs Neue. Einige Male waren wir schon hier. Wir sind auf dem Dach der Kathedrale herumspaziert und haben die schnatternden Gänse im Kreuzgang besucht, wir sind über die RamblasSta Maria del Mar erlebt, die als „Kathedrale des Meeres“ inzwischen zu literarischen Ehren gekommen ist. Auch das Nationalmuseum auf dem Montjuϊc mit den einzigartigen romanischen Fresken, die aus winzigen Pyrenäenkirchen gerettet wurden, hat mich sehr beeindruckt. Tolle romanische Figurenkapitelle gibt es im Kreuzgang des Klosters San Cugat„La Pedrera“ (Casa Milà) besichtigen, eines der berühmtesten Gaudì-Häuser mit bizarrer Dachlandschaft, Gaudì-Museum und Original-Wohnung – viel schöner als die überlaufene „Sagrada Familia“, finde ich. gespurtet (denn die unzähligen Pantomimen und Straßenkünstler, die dort miteinander konkurrieren, fanden wir echt nervig) und sind an der Strandpromenade bis zum riesigen goldenen Fisch von Gehry am Olympiahafen flaniert. Als sehr stimmungsvoll habe ich die gotische Kirche jenseits des Tibidabo zu sehen. Wer sich mehr für den Modernisme interessiert, sollte unbedingt

4. Tag: Costa Brava und Galas Burg

Auf der Fahrt Richtung Küste machen wir Halt im Kloster Solius, um die ständige Krippenausstellung dort zu bestaunen. Da bereits drei Reisebusse voller spanischer Rentner vor der Tür stehen, wandern wir noch ein bisschen durch die Wälder unterhalb der gewaltigen Granitfelsen und sehen sogar Erdbeerbäume. Leider lebt der sehr betagte Mönch, der das Wunderwerk der Krippenszenerien geschaffen hat, nicht mehr – letztes Jahr saß er noch vorm Eingang seiner Ausstellung und hat jeden Besucher persönlich begrüßt. Durch über 20 Gucklöcher erblickt man herrliche Panoramen, minutiös gestaltete Dörfer und Landschaften mit Tiefenwirkung, die die biblische Geschichte von der Kindheit Mariens bis zu Jesus in der Wüste liebevoll nacherzählen. (Jan interessiert sich allerdings mehr dafür, wo der Lautsprecher hängt, aus dem die Musik kommt…)

Im Küstenstädtchen San Feliu de Guíxols, das auf die Iberer zurückgeht, schlendern wir über den Markt und gucken am Strand den Wellen zu. Jan hopst an Papas Hand, jedesmal wenn eine kommt. Leider ist der wunderbare Küstenweg zum Nachbarort Sant Pol über rote Felsen, durch Pinienwald, entlang kleiner, tiefblauer Buchten alles andere als kinderwagengerecht. So fällt die Wanderung heute aus und die große Rutschbahn am Strand muss als Ersatz herhalten – da kommt wenigstens der jüngste Reiseteilnehmer auf seine Kosten!

Was wäre eine Katalonien-Reise ohne einen Besuch beim genialen Dalí? Diesmal ist unser Ziel die Burg Púbol in einem winzigen Dörfchen der Baix Emporda. Dalí hatte sie seiner Muse Gala geschenkt, damit sie sich vom Trubel in Portlligat zurückziehen konnte. Spinnenbeinige Elefantenskulpturen „spazieren“ durch den Garten; einige Räume hat der berühmte Surrealist selbst bemalt – z.B. malte er realistische Heizkörper auf die Verschalung der Heizung. Man sieht Dalís Thron, auf dem er Journalisten empfangen wollte (immerhin hatte ihm der König den Titel „Marquis von Dalí und Púbol“ verliehen!), den Flügel, auf dem einer von Galas Geliebten, ein junger Musicalstar, zu spielen pflegte, etliche edle Roben Galas, ihr schönes Badezimmer und natürlich ihr Grab im Mausoleum der Burg. Nach Galas Tod 1982 lebte Dalí zwei Jahre hier, im Wappensaal richtete er sich ein Atelier ein, in dem er seine letzten Werke schuf, bevor er sich in den Torre Galatea seines Museums in Figueras zurückzog.

Zurück in Girona schicke ich „meine Männer“ allein nachhause und gönne mir einen kleinen Stadtbummel. Es gibt viele schöne Geschäfte hier; ich erstehe Wollstrumpfhosen und Handschuhe (ja, es ist immer noch kalt!) und streife durch die Gassen zu Füßen der Kathedrale, bis nach 20h der Altstadt-Aufzug nicht mehr fährt und ich zu Fuß zu unserem Domizil aufsteigen muss.

5. Tag: Ausflug in die französischen Pyrenäen

Heute fahren wir ins nahe Frankreich. Schon kurz hinter Girona sieht man die verschneiten Pyrenäen mit dem mächtigen Gipfel des Canigou. Wir fahren zum romanischen Kloster St. Michel de Cuxa, das als Gründung des großen Abtes Oliva vom Montserrat Bedeutung … Christoph und ich sind die einzigen Besucher im Kloster. (Wolfgang hütet den schlafenden Jan, der die ganze Fahrt über Weihnachtslieder geschmettert hat und nun erschöpft ist) Wir durchstreifen die wunderbare Krypta mit ihren mächtigen Gewölben, an denen beträchtliche Reste mittelalterlichen Betons erhalten sind, sehen die westgotische Bögen im Kirchenschiff und stellen fest, dass die Skulpturen der zierlichen Säulchen im Kreuzgang fast exotisch wirken – die Löwen und Drachen könnten ebenso gut einen Hindutempel schmücken! Im Kreuzgang liegt Schnee! Die Silhouette des romanischen Glockenturms vor den Bergen – alles sehr stimmungsvoll! Christoph erzählt mir die erstaunliche Geschichte des Baus: Anfang des 20. Jh. überließ man das aufgegebene Kloster dem Verfall und nutzte es als Steinbruch. Ein Teil des Kreuzgangs wurde nach New York verkauft, einige Arkaden an die Stadtkirche von Prades angebaut. Die Altarplatte fand man nach Jahrzehnten als Balkon an einem Wohnhaus wieder – unglaublich, dass fast alles wieder zusammengetragen werden konnte! Im Sommer wird hier eine Wanderung der Hirsch-Gruppe starten. Um schon mal zu erkunden, wo der Bus die Wanderer einsammeln kann, bleiben wir einem winzigen Ort fast mit dem Auto stecken – und versetzen ein paar Dorfbewohner in Staunen… Im nahen Städtchen Prades kehren wir in einem zugigen Bistrot ein, wo es köstliche Jakobsmuscheln gibt. Da wir noch nicht genug Kapitelle angeguckt haben, besuchen wir in Elne noch den Kreuzgang der Kathedrale. Bei unserem Abschiedsessen am Abend bezaubert Jan Freundin Carmencita mit seinem Charme und seinen „Spanischkenntnissen“.

6. Tag: Abschied

Als wir voll bepackt unser Leihauto jenseits der Stadtmauer erreichen, ist es total vereist! Es sind -4°C, und ein Eiskratzer gehört nicht zur Standardausrüstung spanischer Autovermieter. Wir behelfen uns mit der Hülle von Jans Kinderlieder-CD und komme pünktlich zum Flughafen. Katalonien verabschiedet uns mit einem herrlichen Blick auf das Cap Creus, das wie fünf Felsfinger einer Hand ins Meer ragt. Später berichtet uns Christoph, dass der Dezember 2009 der kälteste Winter seit 50 Jahren war … Doch wir kommen bestimmt wieder!

Hier geht’s zu den Hirsch-Reisen nach Katalonien