e-mails aus Usbekistan und Turkmenistan

Usbekistan1-031

Der Hirsch-Katalog im Zug nach Samarkand

19.11.2008 / 11.26 Uhr
Bin gut in Tashkent gelandet. So ein Direktflug ist schon toll, so völlig ohne Anschluss- und Gepäcksorgen – da lohnen sich die 90 Euro mehr. Bin vorgestern gegen 10 Uhr abends Ortszeit hier angekommen. Der Flughafen ist nicht groß, aber sie haben trotzdem fast eine Stunde gebraucht, um das Gepäck aufs Band zu legen. Dafür war die Einreiseprozedur relativ flott, ich hoffe nur ich habe sämtliche Dokumente richtig ausgefüllt. Was die schon wieder alles wissen wollten …

Die Unterkunft ist akzeptabel, etwas komische Proportionen – das Bad ist größer als das Zimmer. Es ist im 4. Stock, was bedeutet dass der Wasserdruck nicht optimal ist. Aber immerhin tropft es warm bis heiß. Die Temperaturen sind enorm gestiegen, vorgestern bei Ankunft waren es noch 0 Grad, gestern Mittag in der Sonne schon wieder 15 Grad. Hätte ich doch nicht so viel Klamotten mitnehmen müssen. Die Stadt ist nicht die allerschönste, aber auch nicht ohne Charme. Von den mir bekannten Städten würde ich sie am ehesten mit Kiew vergleichen. Weniger Kirchen, mehr Moscheen, und diktatorischer – d.h. mit gewaltigen Plätzen, Boulevards und modernen Prachtbauten (bzw. was man hier wohl dafür hält). Exzentrisch wäre wohl ein passendes Wort.

Es gibt so manches Volk, Usbeken, Kirgisen, Kasachen, Tadschiken, Russen, und was weiß ich noch. Pelz liegt im Trend, als Mantel und als Kappe. Da gibt es selbst so eine Art Baseballcap aus schwarzem Nerz. Im Nationalmuseum (es heißt eigentlich komplizierter, irgendwie Museum für die Geschichte der Völker usw.) habe ich mir gestern schon einen kompletten Überblick über die Geschichte verschafft, von Achämeniden über Alexander, Mongolen, Timuriden bis zur Sowjetunion. Habe z.B. gelernt dass Amir Timur, bei uns genannt Tamerlan, gar kein Mongole war. Dachte ich immer. Basar und diverse Medresen habe ich auch schon angeschaut, sogar in den Fleischmarkt habe ich mich hinein getraut. Ganz interessant, wenn man sich mal an den Geruch gewöhnt hat und es schafft sich durchzuschlängeln, ohne einen halben Hammel an den Kopf zu bekommen (das gabs übrigens zum Frühstück – fettige Hammelstücke mit Kartoffeln – man konnte aber auch Pferdewurst wählen). Überhaupt, Pferdefleisch soll hier eine Spezialität sein, habe ich aber noch nicht versucht. Probiert habe ich dafür schon örtlichen Wein und Bier, nicht so schlecht, beides etwas süsslich für europäischen Geschmack. Aber immerhin gibt es hier sowas überhaupt.

Die sind eh recht locker, auch was Religion angeht. Ich hab mit ein paar Jungs geredet, die bezeichneten sich zwar alle als Muslims, aber beten wollten sie erst wenn sie alt sind. Das wäre so blöd, direkt nach der Moschee ein Bier trinken zu gehen. Dafür hätte man im Alter dann viel mehr Zeit und könnte statt 5 mal 20 mal pro Tag beten, da würde man das alles wieder reinholen. Recht pragmatisch also. So, genug der Pause, ich guck mal weiter. Morgen früh um 7 fahre ich mit dem Zug nach Samarkand.

21.11.2008 / 8.37 Uhr

Ich schreite voran. Kein Land für Vegetarier hier, ich ernähre mich fast ausnahmslos von Fleisch. Als Vorspeise gibt es immer Suppe (Gemüsesuppe ist eine fettige Fleischbrühe mit einem Batzen Fleisch und Gemüse, Kirchererbsensuppe eine fettige Fleischbrühe mit einem Batzen Fleisch und Kirchererbsen, Nudelsuppe eine fettige Fleischbrühe mit einem Batzen Fleisch und Nudeln, Kohlsuppe eine fettige Fleischbrühe mit einem Batzen Fleisch und Kohl, … ihr versteht das Prinzip), und als Hauptspeise gibt es dann einen Batzen Fleisch mit rohen Zwiebeln in Essig, oder einen Eintopf mit Hammelfett und einem Batzen Fleisch, etc. Immerhin ist in jedem Restaurant das Wodkaglas gleich mit eingedeckt. Wodka ist übrigens auch Medizin, gegen Durchfall gibt es Wodka mit Salz, gegen Grippe Wodka mit Pfeffer, gegen Fieber eine Einreibung mit Wodka. Gott sei Dank benötige ich bisher nichts davon, mir reicht das übliche Quantum.

Die Geschichte erschließt sich mir langsam, es ist sehr spannend die Zusammenhänge zu sehen. Von Tamerlan habe ich ja in Persien schon viel gehört, der hatte seine Hauptstadt hier in Samarkand. Hier sehen sie ihn natürlich etwas positiver als im Iran. Sein Urenkel (?) war übrigens Babur, der dann wiederum in Indien die Dynastie der Moghuln begründet hat, die ja dann Taj Mahal etc. zu verantworten hatten. So gehört alles zusammen, was sich natürlich auch in den Bauwerken erkennen lässt. Da werde ich langsam Fachmann. Ich bleib mal noch paar Tage hier, gibt viel zu sehen, bevor ich weiter nach Buchara fahre.

26.11.2008 / 10.21 Uhr

Bin immer noch bzw. wieder in Samarkand, nach einigen folkloristischen Tagen. Letzten Sonntag war ich auf einer Hochzeit eingeladen, in einem Dorf nahe der Grenze zu Tadjikistan. Das hat im Haus der Braut angefangen, da war schon Riesenspektakel und Lärm. Dann ging es zum Haus des Bräutigams, auch da noch Hände schütteln (machen die gerne hier, selbst der Polizist bei den ständigen Kontrollen). Und dann zum Veranstaltungsort, so eine Art Restaurant, eigentlich nur mehrere große und eiskalte Räume. Die Tische haben sich gebogen unter Essen und Wodka-Flaschen, und ich habe alles gegeben. Ständig wurde ich von Pelzmützen dazu aufgefordert, mit ihnen Wodka zu schlürfen (aus der Teeschale, mangels Gläsern). Nach dem Trinken steckt man sich dann gegenseitig mit der Gabel was zu essen in den Mund (interessante Dinge übrigens wieder, aber das würde zu weit führen). Insgesamt waren es ca. 250 Gäste, wenig für usbekische Verhältnisse. Es gab übrigens kein einziges Klo weit und breit, man ist einfach auf den Acker hinter dem Haus gegangen. Jedenfalls, als ich irgendwann ordentlich einen hängen hatte musste ich als einziger Ausländer auch noch eine Tischrede halten. Sie waren alle sehr ergriffen und haben mit der Hand auf dem Herz zugehört, obwohl natürlich kein Mensch ein Wort verstanden hat (ich habe der Einfachheit halber auf Deutsch geredet). Nette Menschen. Zum Abschied habe ich dann wieder unzählige Hände geschüttelt und wurde von schnurrbärtigen alten Männern auf die Backe geküsst.

Danach war ich noch zwei Tage auf dem Land, in einem Dorf in den Bergen. Ich war beim dortigen Schuldirektor zu Gast (was nicht bedeutet dass dessen Haus unnötigen Luxus wie fließend Wasser oder ähnliches gehabt hätte). Die Raume sind bar jeder Möbel, nur ein Teppich auf dem Boden und ein paar Kissen an der Lehmwand. Zum Schlafen gibt es eine Matratze und ein paar warme Baumwollecken. Heizung ist nicht, aber dafür gibt es einen Heiztisch. Das ist toll. In jedem Raum ist eine kleine quadratische Grube, darüber ein niedriger Tisch gleicher Größe, so dass man seine Füße unter den Tisch strecken kann. Die Tischdecke ist eine richtige Decke und so groß, dass man sie bis über die Oberschenkel ziehen kann. Der Clou des ganzen aber: die Grube wird mit glühender Holzkohle gefüllt, so dass man immer warme (und geräucherte) Füße hat. Ansonsten gibt es zum Wärmen natürlich noch Wodka. Mein Pensum liegt aktuell bei 0,25 l pro Mahlzeit,  was recht wenig für hiesige Verhältnisse ist, aber immer noch deutlich mehr als ich je vorher davon getrunken habe. Tagsüber habe ich mehrstündige Spaziergänge durch die Berge gemacht, das geht in der Gegend bis auf 2000 m. Sehr angenehm. Allerdings habe ich nach 3 Tagen ohne Kleiderwechsel, ohne Waschen, abendlichem Schaschlik-Grill und Schlafen auf dem Boden neben dem Stall auch recht authentisch gerochen, denke ich. Aber jetzt bin ich ja wieder in der Stadt, morgens geht es weiter Richtung Buchara. Vorher besichtige ich aber noch das örtliche Hotelangebot.

29.11.2008 / 10.06 Uhr

Ich bin jetzt in Buchara, malerische Altstadt aus 1001 Nacht, wenn auch etwas menschenleer teilweise. Die touristische Saison ist vorbei, und die Einheimischen sitzen wohl lieber zuhause. Ich übernachte in einer alten Karawanserei. Das Zimmer ist zwar mehr eine Zelle, und nachts ist es ordentlich frisch, aber immerhin habe ich ein eigenes Bad mit heißem Wasser. Lustigerweise habe ich wie schon in Samarkand Zimmernummer 211 (erstaunlich angesichts der Tatsache, dass beide Hotels einstöckig sind und nur 8 bzw. 10 Zimmer haben).

Aber sowieso gehen hier manchmal seltsame Dinge vor. Beispiele? Postkartenkauf: der Händler fragt mich unaufgefordert, ob ich Briefmarken benötige. Ich sage erfreut ja, er antwortet: hat er nicht, vielleicht nächste Woche. Abendessen: Ich frage was es für Suppe gibt, der Kellner sagt Nudelsuppe, ich sage ok, er sagt hat er nicht, aber er könne Kohlsuppe anbieten. Das gleiche im Hotel. Als ich vorgestern ankam, fragte mich der Besitzer wann ich Frühstück wolle. Ich sagte 8 Uhr. Gestern Morgen stand ich also pünktlich da, sagt er Frühstück gibt es immer um 9. Habe ich mich also geduldet. Gestern habe ich dann extra nicht gefragt, denn Frühstück gibt es ja IMMER um 9. Gestern Nacht dann um 1 Uhr, ich habe schon tief und fest geschlafen, hämmert es plötzlich an meine Tür. Ich kriege einen Schreck, denke Feuer oder Erdbeben oder was weiß ich was. Ist es wieder der Typ und fragt mich, wann ich gerne frühstücken würde. Nicht zu fassen, oder? Vor allem, ich fürchte das wird bei den Turkmenen noch schlimmer. Die Usbeken beschreiben die als seltsam und skurril. Das kann heiter werden. Jedenfalls, morgen bin ich noch hier und besichtige Hotels, übermorgen versuche ich dann mein Glück beim Grenzübertritt. Kann dann sein dass ich mich einige Tage nicht melde, in Turkmenistan ist Internet glaube ich nur eingeschränkt möglich.

30.11.2008 / 10.23 Uhr

Jetzt melde ich mich doch noch mal, ich muss mich hier im Internetladen verstecken. Die wollen mich schon wieder auf eine Hochzeit mitnehmen, aber ohne mich. Die möchten sich nur mit dem exotischen ausländischen Gast schmücken, während ich mit viel zu viel Essen und Wodka gepeinigt werde, und das Ganze auch noch 40 km außerhalb der Stadt auf dem Dorf, damit ich nicht fliehen kann. Nicht mit mir. Zumal ich morgen recht früh raus muss, wegen des Grenzübertritts nach Turkmenistan, wovor ich schon ein wenig Respekt habe, nach allem was man so hört. Also verstecke ich mich hier kurzfristig und bummel dann noch etwas alleine und in Ruhe durchs Städtchen.

Es ist wirklich nett. Es gibt nicht nur die „Standard“ Moscheen, Medresen und Basare, sondern z.B. auch ein wunderschönes Mausoleum aus samanidischer Zeit (9./10. Jh.), das Dschinghis Khan und seine Horden beim Plattmachen irgendwie übersehen haben. Das ist nur aus einfachen Backsteinen, wohltuend schlicht im Vergleich zu den manchmal überkandidelten Bauten der Timuriden und deren Nachfolgern. Es gibt auch einen „Ark“, also so eine Art Burg in der Stadt, die leicht an die Zitadelle von Aleppo in Syrien erinnert, auch wenn zwei Drittel zerstört sind. Und im Zentrum der Altstadt kann man gemütlich an einem Wasserbassin sitzen, unter alten Maulbeerbäumen, umringt von Medressen und Moscheen, schälchenweise grünen Tee trinken und Nüsse knabbern (bzw. mittags das obligatorische Plow, die usbekische Leib- und Magenspeise, eine Art Risotto mit Fleisch, Möhren, Zwiebeln und allerhand anderem). Das ganze fast jeden Tag unter einem gewaltigen blauen Himmel, ohne ein Wölkchen. Laut Statistik hat Usbekistan glaube ich 300 Sonnentage pro Jahr.

Tja, und morgen geht es dann nach Turkmenistan. Ich muss also heute abend noch alle Unterlagen richten die man so benötigt, d.h. für die Ausreise aus Usbekistan eine Kopie meines gestempelten Einreiseformulars, ein neu auszufüllendes Ausreiseformular und die Registrierungsbestätigungen für alle hiesigen Übernachtungen (die ich für die private Übernachtung auf dem Land natürlich nicht habe, ich hoffe das gibt keine Probleme, aber selbst wenn kann man sich hier normal aus allem rauskaufen). Für die Einreise nach Turkmenistan benötige ich die schriftliche und vom Ministerium in Ashgabat bestätigte Einladung, eine spezielle Reiseerlaubnis mit 3 Passbildern, einige Dollar in bar, möglichst passend, für die Einreisegebühr und extra nochmal für die Bankgebühren, eine schriftliche Bestätigung der Reiseversicherung, und wahrscheinlich noch einige Dinge mehr an die ich gerade nicht denke und die ich mir dann spontan „kaufen“ muss. Letztes Jahr um diese Zeit habe ich eine e-mail beendet mit der Frage, warum der KSC gegen den Tabellenletzten verliert. Dieses Jahr ist er selbst Tabellenletzter. Als ich das heute Morgen erschüttert dem Hotelbesitzer erzählt habe, hat er verständnislos gefragt, ob man denn da nicht einfach mit Geld was machen könnte, mit Hilfe des Schiedsrichters oder der gegnerischen Spieler. Recht pragmatisch wie gesagt, die Menschen hier. Gruß aus der „heiligen Stadt“. 

5.12.2008 / 10.31 Uhr 

Sodele, es war etwas mühselig, aber jetzt habe ich sogar hier Internet aufgetrieben. Wirklich erstaunlich. Die Einreise hat ganz gut geklappt, ich habe knapp 2 Stunden benötigt, mit hundert Passkontrollen, rätselhaften Ausreiseformularen in kyrillischer Schrift, 1,5 km Fußweg mit Gepäck auf staubiger Landstraße im Niemandsland zwischen dichtgeparkten LKW, dichtem Gedränge und Chaos bei der Einreise, etc. Nichts für Hirsch-Kunden, schätze ich. In Turkmenistan hat dann tatsächlich ein Guide auf mich gewartet (ohne den darf ich hier theoretisch keinen Schritt tun), das war tatsächlich eine Russin namens Natalie (Gilbert Becaud lässt grüßen). Leider keine von diesen russischen, jungen, drallen, sexy Schönheiten, die man hier gerne mal sieht, sondern eine 38jährige, schon etwas verbrauchte kurzhaarige Dame. Naja, man kann nicht alles haben.

Über Turkmenabat und Mary (da hab ich mir die Ruinen von Merw angeguckt, einer einst gewaltigen Stadt, bevor Dschinghis Khan die schätzungsweise 300.000 Einwohner einfach abgeschlachtet hat) bin ich dann hier in Ashgabat gelandet. Das waren 500 km nur Wüste. Und was soll ich zu Ashgabat sagen? Um mal den Reiseführer sinngemäss zu zitieren: Man muss nicht unbedingt völlig durchgeknallt sein, um solche Bauwerke zu errichten, aber es hilft sicher. Da steht ein Haus, das sieht aus wie ein aufgeschlagenes Buch, das Energieministerium ist einem überdimensionalen Feuerzeug nachempfunden, da gibt es einen gewaltigen pyramidenförmigen Wasserfall, das Neutralitätsdenkmal stellt einen dreibeinigen Topfhalter dar und sieht aus wie eine Rakete, darauf montiert eine goldene Statue des ersten Präsidenten, die sich um sich selbst dreht und immer Richtung Sonne blickt, und vieles Unterhaltsames mehr.

Und wenn man denkt jetzt kann einen nichts mehr wundern, dann guckt man sich das ganze bei Nacht an. Da blinkt und leuchtet es überall, in grün, rot, lila, die riesigen Marmorpaläste sind angestrahlt, dass sie wie eine Science Fiction-Siedlung aussehen, selbst lumpige Baukräne leuchten in allen Farben. Das ist Orient, Russland und Las Vegas gleichzeitig. Jedenfalls, äußerst abwechslungsreich, mehr als ich schreiben könnte.

Morgen bin ich noch hier, übermorgen fliege ich über die Karakum-Wüste nach Norden (ist billiger und angenehmer, hoffe ich, als die Alternative, eine 16stündige Fahrt durch die Wüste), gucke mir da noch einige untergegangene antike Städte an, und versuche dann wieder wohlbehalten über die Grenze nach Usbekistan zu kommen.

8.12.2008 / 15.34 Uhr

Jetzt bin ich wieder über die Grenze. Das war einigermaßen anstrengend gestern (zumal ich vorgestern relativ lange aufbleiben musste, um das KSC-Ergebnis mitzubekommen – aber es hat sich ja gelohnt). Um 3 Uhr musste ich dann schon wieder in Ashgabat aufstehen, um rechtzeitig zum Flughafen zu kommen.

So ein turkmenischer Flug ist ein besonderes Ereignis. Die Flüge sind äußerst günstig, bis vor einem halben Jahr haben sie 1 US-$ gekostet, jetzt wurden die Preise immerhin auf ca. 18,- erhöht. Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem, jeder Flug ist ausgebucht. Man muss zeitig am Check-In sein, denn falls jemand noch unbedingt mit will und genug zahlt, bekommt der einen schon bestätigten Flugplatz. Sobald der Schalter geöffnet wird, geht das große Hauen und Stechen los, inklusive einiger kleinerer Prügeleien (nichts schlimmes, das machen sie auch auf dem Basar, die Streithähne werden meist schnell wieder getrennt). Wenn man dann drin ist wartet alles ruhig in der Wartehalle, bis das Boarding beginnt. Sofort wieder das gleiche, Mord und Totschlag, denn manchmal werden Plätze wohl doppelt verkauft, also muss man seinen Platz im Flieger sichern. Dieser Kampf macht aber natürlich mehr Spaß als beim Check in, weil ohne Gepäck. Der Flug war gut, sie haben kleine, recht neue Boeing-Maschinen. Nach der Landung drängelt wieder alles wie verrückt, wofür ich diesmal aber keine Erklärung habe, denn viel schneller ist man dadurch ja auch nicht draußen. In Kenntnis der turkmenischen Eigenart kommt das Gepäck in einem abgeschlossenen Raum an, der erst geöffnet wird, wenn das Gepäck da ist. Sobald dies der Fall ist wieder das gleiche Spiel, die Leute springen sogar auf das Band, um sich das nächstbeste Gepäckstück zu schnappen und es enttäuscht wegzuwerfen, wenn es nicht das eigene ist. Glücklicherweise ist mein Koffer relativ massiv, so dass ich einige Menschen beim Rausgehen damit wegrammen konnte.

An meinem Zielort, Daschogus, war es dann bitter kalt, -5 Grad und ein eisiger Wind. Ich habe mir dort in der Gegend die Ruinen der alten Stadt Konye Urgench angeguckt, bevor ich mich am frühen Nachmittag auf den Weg zur Grenze gemacht habe. Dort schon wieder ein Haufen drängelnder Menschen vor dem Tor, dahinter 5-6 Soldaten, die versuchten es geschlossen zu halten. Als Ausländer hat man manchmal Vorrechte (schon weil die Soldaten neugierig sind), und als ich es geschafft habe die Aufmerksamkeit eines Uniformierten zu erringen, wurde ich vorgewunken (den Koffer über den Kopf gestemmt, mit ordentlichem Körpereinsatz, habe ich es geschafft). Dann kam das Zollhaus, und ratet was man machen musste? Richtig. Drängeln. Nach Kontrollen, Schlangen und Kämpfen endlich der Schalter, Formulare auf kyrillisch, Kofferkontrolle. Das waren richtige Idioten, die haben sich amüsiert, ich musste meinen gesamten Koffer ausräumen, die haben mich komplett auseinander genommen, private Fotos von Familie und Freundin angeschaut und gefeixt. Nach einer halben Stunde der nächste Depp, hat meinen Pass 20  Minuten hin und zurück geblättert, während ich vor ihm stand. Machtspielchen. Dann einen Kilometer durch das Niemandsland, in einem vollgepackten VW-Bus. Wie gesagt, nichts für Hirsch-Kunden.

Die Einreise nach Usbekistan ging dann relativ einfach, bis auf die kyrillischen Formulare wieder. Außerhalb war der Typ, mit dem ich eigentlich verabredet war, dann nicht da, und ich durfte 1 ½ Stunden in der zunehmenden Kälte warten, bedrängt von 8 nervigen Taxifahrern. Naja, irgendwann kam dann mein Bekannter, und ich habe es abends nach Chiwa, wo ich jetzt bin, geschafft. Das war dann zwar noch nicht das Ende des Tages, aber mehr schreiben ist mir jetzt zu anstrengend. Morgen fahre ich in die autonome Provinz Karakalpakstan, das ist der Aralsee … Mal gucken ob ich Wasser finde.

 

12.12.2008 / 15.23 Uhr

So, wieder zurück in der Zivilisation. Die letzten Tage war ich in Karakalpakstan, einer ganz traurigen Gegend. Wassermangel, versalzene Böden, 80 % Arbeitslosigkeit, eine fatale Kombination mit der Herstellung eines der besten Wodkas im Lande. Nicht mal in der Hauptstadt Nukus gibt es anständige Hotels, ich wohnte in einem kleinen Loch mit gerade mal Platz für ein Bett und so etwas wie einen Kleiderständer. Das Zimmer war eiskalt und lag zum Hof, d.h. wenn ich ins Gemeinschaftsbad gehen wollte musste ich durchs Freie, wo Minustemperaturen herrschten. Wobei sich der Gang aber nicht lohnte, die Dusche war trocken, und das Klo nur eingeschränkt funktionsfähig. 2 Zimmer gab es mit eigenem Bad (oder was sie darunter verstehen), die waren aber schon durch 2 Deutsche besetzt – die arbeiten hier als Pipelinetieferleger. Einer war Ossi und hat schon mal in Ettlingen gewohnt, der andere Ostfriese, der den Hirsch-Reiseleiter Siefken persönlich kennt (seine Frau hatte ihn als Lehrer). Die beiden haben mich einen Tag mit auf ihre Baustelle genommen und alles erklärt, die ziehen so eine Pipeline unter dem Flussbett durch (wie flowtex früher). Beeindruckende Technik, aber auch eine trostlose Baustelle. Die Arbeiter hausen da monatelang in Containern. Erstaunlicherweise verfügt Nukus über ein herausragendes Museum. Da hat ein Russe haufenweise Kunst gesammelt, teils von früher unbekannten, teils von verbannten Künstlern. Abertausende Werke aus den 20er und 30er Jahren, russische Avantgarde, Bilder und Graphiken. Natürlich ist nur ein Bruchteil ausgestellt, aber das war schon toll.

In Monyak war ich auch, früher Seehafen am Aralsee. Da liegen jetzt Schiffswracks in der Wüste, die Ruinen einer Fischkonservenfabrik, von durchaus morbidem Charme. Der Aralsee hat sich bekanntlich verzogen, das Ufer liegt zurzeit ca. 150 km weit weg! Tja, man kann sich vorstellen wie da eine Stadt aussieht, die früher ausschließlich von Fischfang und Schiffsindustrie gelebt hat. Auf der Fahrt nach Nukus habe ich sogar einen alten Turm des Schweigens gesehen, wie in Yazd in Iran. Das heißt hier waren die Zoroastrier auch ganz groß. Und keiner weiß sicher wo diese einstige Weltreligion entstanden ist, hier oder im Iran. Man sollte doch denken dass Wissenschaftler sowas rauskriegen können. Heute bin ich dann mit einer alten russischen Propellermaschine hierhergeflogen. Das war so laut, dass ich danach ernsthaft Sorgen um meine Ohren hatte. Zumal mir das konstante Frieren der letzte Tage auch eine ordentliche Erkältung beschert hat. Das Gepäck musste man übrigens selbst in die Maschine einladen. Jetzt habe ich mich zum ersten Mal seit Tagen wieder richtig gewaschen und endlich auch mal wieder frische Kleidung angezogen. Morgen fahre ich durchs Gebirge nach Osten, ein paar Tage ins Fergana-Tal. Nächsten Dienstag dann wieder zurück nach Tashkent, Mittwoch noch etwas ausspannen, und Donnerstag geht ja dann auch schon der Flieger heimwärts. Bin auch langsam reif dafür.

14.12.2008 / 8.02 Uhr

Jetzt bin ich im Osten, allerdings nicht ganz fit. Eine heftige Erkältung hat mich niedergestreckt. Bin gestern mit dem Sammeltaxi nach Kokand gefahren. Eine schöne Gegend, vor allem nach dem frustrierenden Karakalpakstan, mit grünen Feldern und schneebedeckten Bergen. Es ging über einen über 2000 m hohen Pass. Ich war etwas malad und musste ständig niesen. Meine Mitfahrer waren sehr mitfühlend, ich habe ihnen auf Nachfrage „Gesundheit“ beigebracht, das haben sie dann alle nach jedem Nieser im Chor gerufen und sich köstlich amüsiert. Kokand habe ich zwar besichtigt, aber ehrlich gesagt nicht viel mitbekommen. Ein Hotel gab es nicht, ich habe bei einer Familie übernachtet. Da bin ich dann mehr oder weniger zusammengeklappt, zumal ich die Nacht vorher auch praktisch nicht geschlafen hatte. Mein Kopf ist explodiert, meine Ohren, malträtiert von alten Propellermaschinen, hohen Bergpässen und Erkältung haben komplett den Dienst versagt, mir war völlig schwindlig. Ich bin sozusagen einfach umgekippt, was nicht so schlimm war, da ich schon auf dem Boden saß. Die anwesenden Damen (Tochter, Mutter und Großmutter) haben mich aufopferungsvoll gepflegt, mit Tee und Suppe. Selbst nachts waren sie wohl bei mir, als ich heute Morgen aufgewacht bin stand schon direkt der heiße Tee da, und Großmutter saß schlafend daneben. Sie haben sogar eine alte Elektroheizung neben mein Lager gestellt, was mangels Strom immerhin eine nette Geste war.  Jedenfalls, der Schlaf hat ganz gut getan, ich bin wieder einigermaßen auf dem Damm. Heute Morgen hab ich mich dann von der Familie verabschiedet, die haben mir sogar noch ein Essenspaket geschnürt, weil ich ihrer Meinung nach zu wenig gegessen hatte (wobei man sagen muss dass die Usbeken praktisch ununterbrochen essen).

Mit dem nächsten Sammeltaxi bin ich dann nach Fergana gefahren, wo ich jetzt bin. Scheint ein nettes Städtchen zu sein, nicht so kalt, viele Alleen. Hier gibt es auch ein Hotel, da lege ich mich rein, sobald das Zimmer fertig ist, und morgen ist mein Körper dann hoffentlich wieder frisch. Gruß aus dem Fergana-Tal!

17.12.2008 / 11.37 Uhr

Die letzte mail von dieser Reise, morgen geht es zurück in die Heimat (inschallah, denn hier schneit es seit letzter Nacht ununterbrochen – Usbekistan ein Wintermärchen). Meine Hotelbesichtigungen habe ich schon hinter mir, das Angebot ist gut, wenn man mal von den alten Sowjetkästen absieht. Ich hoffe meine ständigen Berichte haben nicht genervt, andererseits, ihr wurdet ja nicht gezwungen sie zu lesen. 🙂 War eine sehr schöne und interessante Reise, und ich habe viel gelernt, z.B.

– dass Tamerlan so eine Art Stammvater der Usbeken ist

– dass Temudschin alias Dschinghis Khan mit seinen Mongolen tatsächlich so grausam war wie man das bei uns von ihm denkt

– dass Alexander der Große fast überall schon war wo ich hinkomme

– dass man hier ständig Hände schüttelt, selbst wenn man nur nach dem Weg fragt

– dass man beim Hände schütteln immer ein paar Scheine in eben dieser Hand haben sollte, sofern es sich beim Gegenüber um einen Polizisten handelt und man an schneller Weiterreise interessiert ist

– dass praktisch jeder Körperteil eines Tiers essbar ist (und dies auch, unabhängig von der Tageszeit, umgesetzt wird)

– dass ein Diktator praktisch alles bauen lassen kann, solange er nur größenwahnsinnig und reich genug ist – von Springbrunnen mitten in der Wüste bis zu kilometerlangen Treppenwegen zur Steigerung der Gesundheit seiner Untertanen

– dass sich orientalisches Denken und Handeln doch recht häufig vom europäischen unterscheidet

Naja, und vieles andere mehr. Aber jetzt freue ich mich dann doch sehr auf zuhause. Richtig weihnachtlich ist hier auch nicht, trotz Schnee und einer russischen Kirmes-Techno-Version von Jingle Bells, die ständig im Radio kommt. Heute Morgen bin ich nochmal kreuz und quer durch Tashkent gefahren (dank Metro, Bussen und Straßenbahn problemlos und günstig möglich) und habe für mich als Souvenir ein Trikot des örtlichen Fussballclubs gesucht. Gibt es aber nicht. Dabei spielt Rivaldo hier in Tashkent! Dann habe ich mir zum letzten Mal den Bauch vollgeschlagen mit dem hiesigen Nationalgericht Plow (Reis mit Zwiebeln, Karotten, Rosinen, Gewürzen, manchmal Quitte oder Kürbis, und natürlich Fleisch). Jetzt packe ich mal langsam, gehe dann noch schön essen und versuche zeitig ins Bett zu kommen. So, zum letzten Mal Grüße aus Usbekistan.

One Comment

  • PALM PETER

    Ein sehr gut geschriebener Reisebericht der einem die Bereisten Städte und Dörfer so richtig plastisch vor Augen führt. Nur auf die möglichen unwilligen Stattlichen Personen könnte man verzichten aber so ist es eben in diesen Ländern.