Allegra im Bernina Express
„Wasser rauschten in der Tiefe zur Rechten; links strebten dunkle Fichten zwischen Felsblöcken gegen einen steingrauen Himmel empor. Stockfinstere Tunnel kamen, und wenn es wieder Tag wurde, taten weitläufige Abgründe mit Ortschaften in der Tiefe sich auf. Sie schlossen sich, neue Engpässe folgten, mit Schneeresten in ihren Schründen und Spalten.“ (Der Zauberberg)
Am Anfang steht Zürich – die Bankenmetropole. Zu unserer Überraschung sehen wir eine schöne Altstadt am Ufer von Limmat und Zürichsee. Der Rundgang passt exakt zwischen zwei heftige Regenschauer. Der Geldautomat spendiert Schweizer Franken; es ist Jahre her, dass ich eine andere Währung als Euro in der Hand hatte. Später klettert der Bus nach Davos, wie einst Hans Castorp mit dem Zug. Das Sunstar Hotel empfängt mit Apéro und Pianospieler in der Bar und einem 4-Gang-Menu mit wunderbarem Service und interessanten Tischnachbarinnen im Hotelrestaurant.
„Das machte Hans Castorp nun wieder lachen, und so wurde er zwischen verschiedenen Gemütsbewegungen hin und her geworfen, bis der Morgen durch seine halboffene Balkontür graute und ihn weckte.“ (Der Zauberberg)
Das Frühstücksbuffet erstaunt uns mit einem Butterautomat, der auf Knopfdruck frisch portionierte Butter auswirft. Die Schweizer Käseplatte ist zum Reinsetzen. Aber nicht zu lange, der Zug wartet, oder eben nicht. Eine Dreiviertelstunde ist es mit dem Bus zum Bahnhof von Tiefencastel, wo wir eine zweite Reisegruppe treffen, aus Zwickau. Gemeinsam teilen wir uns den Panoramawagen des Bernina-Express und die Reiseleitungen. Unser Herr Fauß tritt zurück gegenüber der temperamentvollen Räto-Romanin Imelda. Die lässt ihrer Begeisterung freien Lauf. „Wow, so schön, die Schweiz!“ Die Fahrgäste wenden die Köpfe hin und her wie die Zuschauer eines Tennismatches, um keine Attraktion an der Strecke zu verpassen. Und während vor den Fenstern die Bergwelt beeindruckt, trägt Imelda drinnen das „Lied der Heimat 268“ vor, komponiert aus Ortsbezeichnungen der Schweizerischen Landeskarte Blatt 268 (Julierpass):
„Albanella Chantarella, Cresta Crasta Sur La Sella,
Salacina Pontresina, Beira Prüma Piz Bernina.
Tscheppa Crappa Morteratsch, Lantsch Gravatscha
Clavadatsch, Plang Arblatsch, Cam Furnatsch, Acla
Verda Munteratsch.
Maloja Alpetta Misaun Palüdetta, Mutain Capalotta,
Albana La Motta, Suvretta La Stretta Valetta Stüvetta,
Flix Fex Clüx!“
Nach fast vier Stunden erreichen wir völlig überwältigt Tirano in Italien. Meine Frau und ich erholen uns bei Panini und Espressi auf einer mittagsruhigen Piazza in der Altstadt. Für die Rückfahrt nehmen wir den Bus, und Fahrer Herr Ludwig beschert uns die zweite spektakuläre Alpenüberquerung an diesem Tag. Verrückt, diese Natur.
„Am allerhöchsten liegt das Sanatorium Schatzalp dort drüben, man kann es nicht sehen. Die müssen im Winter ihre Leichen per Bobschlitten herunterbefördern, weil dann die Wege nicht fahrbar sind.“ (Der Zauberberg)
Der dritte Tag ist frei. Wir widmen uns ausgiebig dem Frühstückbuffet und brechen dann auf zu einem Spaziergang. Er führt meine Frau und mich hinauf zur Schatzalp mit dem berühmten Jugendstilhotel und Blick auf Davos. Die Viertelstunde zur Strelaalp können wir auch noch laufen. Von hier nur eine gute Stunde hinauf zum Strelapass? Warum nicht. Berge, Felsmassive, Kühe. Hätten wir mal die Hirsch-Wanderinformationen beachtet – auf 2300 m bin ich der Einzige in Jeans, Hemd und Halbschuhen. Aber wo wir schon mal hier sind, können wir über den Felsenweg zum Weissfluhjoch spazieren. Es ist herrlich. Nach insgesamt 3 ½ Stunden sind wir oben auf über 2600 m!
Die Parsennbahn bringt uns in wenigen Minuten wieder hinunter nach Davos. Jetzt noch ins Kirchner-Museum. Seine Kunst ist aktuell kombiniert mit verstörenden Werken von M. Disler. Genug Impressionen und Expressionisten für heute, auf in den Wellnessbereich unseres Hotels zum Schwimmen. Um 19 Uhr setzen wir uns an den gedeckten Tisch im Restaurant. Das Leben ist schön.
„Langeweile war es nicht, was ihn plagte; im Gegenteil begann er zu fürchten, das Ende seines Aufenthalts möchte allzu beschwingt erscheinen.“ (Der Zauberberg)
Und wieder Frühstück, so ganz ohne eigenes Zutun – ein Traum. Und wieder Landschaft. Herr Ludwig fährt uns, vorbei am „Goldenen Ei“, über den Flüela-Pass. Tiefhängende Wolken und Nebelbänke, Serpentinen, Kurven, Spitzkehren, Dreitausender und enge Seitentäler, grüne Hänge, auf denen Bäche und Wasserfälle wie Fäden ihre Spuren ziehen, Felsen und Findlinge. Die Busfahrt ist kurzweilig.
Auf der anderen Seite des Passes, im Unterengadin, liegt auf einer Kuppe über dem Tal und einem Weiher Schloss Tarasp. Es beherbergt erstaunliche Kunst, vor allem des Künstlers Not Vital, der das Schloss 2016 für immerhin 7,9 Millionen Franken gekauft hat. Schlossführer Raimund Stecher, eher dem Alten als dem Zeitgenössischem zugetan, präsentiert alles mit kenntnisreichem Witz und führt sogar die eigens für das Schloss konstruierte Orgel vor – in Alleinunterhaltermanier mit A whiter shade of pale.
Auf der anderen Talseite liegt Ftan. Herr Fauß zeigt uns dort die Engadiner Häuser und erläutert die Sgrafitto-Kunst. Und ermöglicht mit Charme und Neugier den Besuch eines Wohnhauses – hätte die Hausherrin nicht gedacht, dass plötzlich 20 Gäste in ihrem Wohnzimmer stehen. Busfahrer und Fotograf Herr Ludwig sucht derweil mit Stativ und Fotoapparat die Perspektive.
Retour fahren wir wieder über den Pass, und etwas wehmütig finden wir uns zum letzten Abendessen im Hotelrestaurant ein. Hoteldirektor Herr Lauber, der uns höchstpersönlich bedient, signalisiert Bereitschaft auf meine nicht ganz ernst gemeinte Frage, ob ich nicht noch etwas länger bei ihm bleiben könnte, im „hotel office“ – meinen Rechner hätte ich ja dabei.
Abschied, zumindest vom Hotel, noch nicht von der Schweiz. Herr Fauß führt uns durch St. Gallen – auch hübsch. Die letzten Franken werden in Schokolade und Käse angelegt. In der barocken Kathedrale zünden wir eine Kerze an als Dank für die schönen Tage. Die sanfte Bodenseelandschaft begleitet uns, bis der Schwarzwald übernimmt und wir letztendlich gut bei den Karlsruher Baustellen ankommen.
Ein herzlicher Dank an alle Beteiligten für diese wunderbare Reise: Den Kolleginnen im Büro für die Organisation, Fahrer Harald Ludwig, Reiseleiter Heinrich Fauß, den sympathischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sunstar-Hotels und natürlich den netten Mitreisenden für die anregenden Gespräche!
Dank auch an die Fotografin – (fast) alle Bilder made by Kristine Simonis