Warum wir Italien lieben? Fragen wir doch mal unsere Reiseleiter!

Bella Italia! Sehnsuchtsland spätestens seit Goethe. Als in den 1950er-Jahren italienische Eisdielen und die „Capri-Fischer“ in Deutschland Einzug hielten, entdeckten deutsche Touristen Italien, reisten über die Alpen – und verfielen der Faszination des Südens. Die Sonne! Die Kunst! Dolce Vita! Was ist das Geheimnis der Italiener? Manche unserer Reiseleiterinnen und Reiseleiter leben schon seit vielen Jahren in Italien. Sie müssen es wissen!

 

Welche Eigenart der Italiener bewundern Sie am meisten?
8612a2151f Margarete Jäger (Rom): „Die offene Art, die Herzlichkeit und die Fröhlichkeit der Menschen. Man kann jederzeit ein spontanes Gespräch beginnen, etwa an einer Haltestelle oder in einem Caffè. Nie hat man das Gefühl, lästig zu fallen, im Gegenteil, sie freuen sich über eine unerwartete Unterhaltung! Zu bewundern sind auch ihr Witz und ihre Schlagfertigkeit – und das Improvisationstalent, in dem sie absolute Meister sind.“

b375f3926e Birgrit Schreiber-Schmidt (Toskana): „Ihre Improvisationsfreude im Chaos: ‚Ihr Ersatzteil habe ich leider zur Zeit nicht vorrätig. Macht nichts, dann basteln wir eben etwas zusammen!‘“ Und die spontane Hilfsbereitschaft: ‚Machen Sie nur weiter mit Ihrer Führung, wir bringen Ihren Gast schon zum Arzt!‘“

IMG_1170 Roland Karl (Venedig, Florenz, Rom): „Nach 20 Jahren in Italien bewundere ich nach wie vor das Selbstwertgefühl der Italiener, ihren Geschmack und Eleganz. Die selbstverständliche Freundlichkeit. Die Flexibilität und die Kunst, sich zu arrangieren.“

Auf was ist Ihre Vorfreude am größten?

66a683ac39
 Wolfgang Behrends, Reisebusfahrer: „Ich freue mich immer auf die Fahrt durch so reizvolle Landschaften wie die südliche Toskana oder Venezien. In den Städten gehe ich gern auf Wochenmärkte, zum Beispiel in Padua. Alles scheint unkompliziert und überall wird man sehr herzlich empfangen.“

Was können die Deutschen von den Italienern lernen?
M. Jäger: „Das Leben zu genießen! Dazu gehört unbedingt ein gutes Essen. Und die Essenszeit ist sakrosankt! Für alle anstehenden Aufgaben, Arbeiten und eventuell zu lösenden Probleme gibt es anschließend immer noch genügend Zeit …“

B. Schreiber-Schmidt: „Die Leichtigkeit des Seins! Hier nimmt man nichts so bierernst wie in Deutschland. Das färbt übrigens nach einer Weile auch auf die Besucher ab!“

R. Karl: Gelassenheit!!! Und eine Portion Ignoranz: Die Welt dreht sich auch ohne uns weiter. Sich ständig aufzuregen oder zu ängstigen wegen Terrorismus, Flüchtlingsproblematik, Euro-Krise, raubt Daseinsfreude und Lebensenergie.

Was ist das Besondere an der italienischen Lebensart?
R. Karl: „Die Fähigkeit, offen auf Menschen zuzugehen und trotzdem den Privatbereich zu schützen. Erst kommt die Familie, dann alles andere. Die italienische Gesellschaft ist in der Familie geerdet. Da ist viel Solidarität und Hilfe, auch finanziell. Ohne die Familie würden etwa viele Jugendliche bei der hohen Arbeitslosigkeit in Kriminalität und Depression abrutschen. Besonders sind auch die selbstauferlegten Zwänge bei Festlichkeiten: Für Hochzeiten werden oft Kredite aufgenommen, eher dafür als für den Erwerb eines Eigenheims.

Was bringt Sie auf die Palme?
M. Jäger: „…Was mich ärgert, ist, dass das Wort einer Frau immer noch weniger gilt als das eines Mannes. Zum Beispiel im Umgang mit Handwerkern bei Reparaturen: Dies ist Männersache! Dann die häufigen Streiks, das tägliche Chaos des öffentlichen Verkehrs. Die Metro fällt oft für Stunden aus, Ersatzbusse kommen nicht, Regionalzüge haben lange Verspätungen. Besonders wütend macht mich, wenn ich nach einem anstrengenden Arbeitstag feststelle, dass Züge einfach gestrichen wurden. Erwähnen sollte man auch die städtische Verwaltung. Ich werde das Gefühl nicht los, die Angestellten erhielten ihren Job nur, da sie die richtigen Kontakte hatten – und nicht wegen Kompetenz!

R. Karl: Der permanente Verkehrskollaps in Rom nervt schon sehr, ebenso die gar nicht funktionierende Mülltrennung. Leider wurde zum Heiligen Jahr in der Stadt wenig getan, offenbar will man nur abkassieren. Und Rom bröselt vor sich hin. Man erträgt das mit der typisch römischen Gelassenheit. Mich ärgert, dass Berlusconi noch immer Millionen Bewunderer hat und Fäden ziehen kann, obwohl sein Strafregister mehr als bekannt ist und er keine Ämter mehr bekleiden darf. Er beeinflusst immer noch die Medienlandschaft. Der Kampf gegen Korruption, Unterschlagung, Steuerhinterziehung und Nepotismus ist eine Sisiphos-Arbeit, der sich Italien täglich stellen muss. Der junge Staatschef Renzi hat viel vor und ich hoffe, man lässt ihm die nötige Zeit.

Was kann einem nur in Italien passieren?
M. Jäger: „Ein Lächeln hilft immer – auch bei Ordnungshütern! Einmal bin ich mit dem Auto absichtlich falsch abgebogen, um Ampeln zu sparen ‒ das Ergebnis jahrelanger italienischer Schule. Und schon winkte mich ein freundlich lächelnder Verkehrspolizist raus, kontrollierte meine Papiere – und er gab mir keinen Strafzettel. Ich musste ihm allerdings versprechen, dies nie wieder zu tun! Mit einem freundlichen ‚Arrividerla‘ trennten sich unsere Wege. Typisch ist auch spontanes Handeln jenseits der Vorschriften. Das habe ich mit einem Zugbegleiter in Apulien erlebt: Ich fuhr mit dem Regionalzug in Richtung Castellana und wollte bei der Grotte aussteigen, aber ein Stopp dort war nicht geplant. Der Schaffner ließ den Zug trotzdem halten – nur für mich! Ich war überglücklich, denn mir ein 5 km langer Fußmarsch in der Mittagssonne erspart.“

B. Schreiber-Schmidt: „Neulich in Neapel: Mit dem italienischen Bus hatten wir einen kleinen Unfall. Unser Fahrer und der des beteiligten PKW haben kurz ein paar Worte darüber gewechselt und dann einander sehr herzlich ein gutes neues Jahr gewünscht. In Deutschland kaum denkbar.“
Ein unvergessliches italienisches Erlebnis?

W. Behrends: „Espresso trinken auf dem Dach des Petersdoms! Da gibt es tatsächlich eine Bar gleich hinter den steinernen Aposteln, an der man beim Kuppelaufstieg vorbeikommt. Sehr originell!“

Weitere typisch italienischen Erlebnisse?
M. Jäger: „Ich sollte für eine Gruppe aus Norditalien eine Stadtführung machen. Nach stundenlanger Anreise wollten die Leute erst einmal Caffè trinken. Für mich völlig überraschend war, dass mich jeder einzelne zu einem Caffè einlud! Es waren etwa 40 Personen!“

B. Schreiber-Schmidt: „Ein schönes Beispiel für italienische Selbstkritik liest man auf Schürzen, die auf den Touristenmärkten verkauft werden: Was ist der Himmel? Wenn der Banker ein Schweizer, der Tänzer ein Spanier, der Koch ein Franzose, der Polizist ein Engländer, der Liebhaber ein Italiener ist, und alles wird von einem Deutschen organisiert. Was ist die Hölle? Wenn der Tänzer ein Schweizer ist, der Banker ein Spanier, der Koch ein Engländer, der Polizist ein Franzose, der Liebhaber ein Deutscher und alles wird von einem Italiener organisiert.“

Die Interviews führte Birgit Krämer