Literarische Ortenau


„Wer reisen will, der schweig fein still,
geh steten Schritt, nehm nicht viel mit,
tret an am frühen Morgen,
und lasse heim die Sorgen“
(Philander von Sittewald)

Badische Provinz oder Europa? Wie stark das eine das andere beeinflusst zeigte Dr. Stefan Woltersdorff eindrucksvoll auf einer Reise durch die Jahrhunderte. Schauplatz an einem fast spätsommerlichen Novembertag waren schmucke Ortenau-Städtchen, ein geschichtsträchtiges Gasthaus und die über bunten Rebhängen im sonnigen Herbstlicht thronende Ruine der Schauenburg.

Die Reise beginnt in Willstätt. Geschützt und warm sitzen wir in der kleinen Barockkirche des Ortes und hören vom bekanntesten Sohn der Stadt, Johann Michael Moscherosch, und seiner „Wunderlichen und Wahrhafftigen Gesichte Philanders von Sittewald“. Vor Augen und Ohren entsteht durch Anekdoten und Texte ein Bild der damaligen Zeit, der Literatur und der Wirren des schrecklichen dreißigjährigen Krieges – samt Auswirkungen bis zum heutigen Tage. Direkt neben der Kirche das Moscherosch-Denkmal, von Herrn Dr. Woltersdorff erläutert und illustriert mit Fotos der Einweihungsfeier vor über 100 Jahren.

Moscherosch-Denkmal in Willstätt

Moscherosch-Denkmal in Willstätt

Von Willstätt geht die Fahrt ins beschauliche Oberkirch, zu Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen. „Mit Stolz darf die Bürgerschaft der Stadt Oberkirch vermerken, dass Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, der bedeutendste deutsche Erzähler des 17. Jahrhunderts, fast 20 Jahre lang unmittelbar vor den Toren der Stadt Oberkirch (…) gelebt und hier auch den Höhepunkt seines literarischen Schaffens erreicht hat.“ (Heimat- und Grimmelshausenmuseum Oberkirch). Sein berühmtestes Werk: „Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch – Das ist: Die Beschreibung des Lebens eines seltsamen Vaganten – genannt Melchior Sternfels von Fuchshaim – wo und welcher gestalt Er nemlich in diese Welt kommen – was er darinn gesehen – gelernt – erfahren und außgestanden – auch warumb er solche wider freywillig quittirt„.

Museum Oberkirch Grimmelshausen

Grimmelshausen arbeitete u.a. als Schreibgehilfe, Verwalter, …  und als Wirt im Gasthaus „Silberner Stern“ zu Füßen der Schauenburg. 350 Jahre später kehren wir in die gemütliche Gaststube ein, bewirtet von Ulrich Freiherr von Schauenburg, mit badischer Küche und einem Glas Oberkircher Wein.

Der anschließende Kaffee wird verschoben – mit dem Bus geht es hinauf zur Ruine der Schauenburg, das letzte Stück zu Fuß, mit herrlichem Blick über die Ausläufer des Schwarzwalds und das Rheintal bis hin zu den Vogesen. Auf der Veranda genießen wir Herbstsonne und Kaffee. Aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges springen wir ins 20. Jahrhundert, zu Bertolt Brecht, dessen Vater aus dem nahegelegenen Achern stammte. Seiner badischen Großmutter setzte er in „Die unwürdige Greisin“ ein literarisches Denkmal. Wir lauschen der Kalendergeschichte, während die tiefstehende Sonne die Schauenburg in unwirkliches Licht taucht.

Schauenburg

So vorbereitet fahren wir nach Achern. Unterwegs hören wir im Bus „Das Moritat von Mackie Messer“ und „Das Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“, in der Originalversion gesungen von Bertolt Brecht. In Achern sehen wir das großelterliche Haus am Marktplatz, wo er häufig seine Sommerferien verbrachte, und lauschen seiner Familiengeschichte. Zum 80. Geburtstag widmete er seiner Schwarzwälder Großmutter ein Gedicht:

„Aufgewachsen in dem zitronenfarbenen Lichte der Frühe
Unter dem breiten Dach des Hauses am Markte
Kind mit anderen Kindern, sah sie die Jahre
Ohne Sternenflug oder die schrecklichen Schatten
Ehernen Schicksals. Aber der Mittag war
Heiß und mühevoll. Wenn ihre Kinder
Tief im Schatten des breiten Daches des Hauses am Markte
Schliefen –
Hatte sie voller Arbeit die Hände, denen das Brot und den Trunk
Die Kinder entrissen.“

Den Abschluss des Tages bildet die Gedenktafel, gewidmet „dem Dichter und Dramatiker“ Bertolt Brecht. Und damit endet ein ereignisreicher Tag und unsere Reise durch die Jahrhunderte, aus aktuellem Anlass mit einem Zitat Rene Schickeles, dem der Rhein, wie einst vor dem dreißigjährigen Krieg, verbindendes Element statt Grenze zwischen zwei Ländern war.